Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 30. Dezember 1903
München Schackstr. 2III
d. 30. December 1903.
Hochverehrter lieber Freund!
Ihre frohe, italienische Grüße mir bringende Karte hat mir große Freude bereitet; zugleich auch ein wenig Neid hervorgerufen. Aus dreimaliger Anwesenheit habe ich Rapallo in lebhafter Erinnerung. Zum Aufenthalt giebt es kaum einen geeigneteren Punkt. Sobald es meine Zeit erlaubt, werde ich mit meiner Frau wieder || einmal das schöne Fleckchen Erde aufsuchen.
Weihnachten habe ich im Kreis meiner Familie glücklich und froh verlebt. Wir waren alle gesund und konnten mit dem, was der Weihnachtstisch bot zufrieden sein. Die Freude wurde nur einigermaßen getrübt durch die schwere Erkrankung des uns so nahe befreundeten Zittel. Es stellten sich die ersten bedrohlichen Symptome eines dem Ende entgegengehenden Herzleidens || ein, starke Schwellung, Athemnoth, Urinverkalkung. Inzwischen haben sich trotz aller Eingriffe die Symptome der Art gesteigert, daß die Ärzte alle Hoffnung aufgegeben haben. Wir müßen täglich dem Ende entgegensehen. Es wirda ein schwerer Verlust für die Universität werden, besonders für den Kreis seiner Freunde, vor Allem aber für seine Familie, die schon so viel Unglück im letzten Jahrzehnt erlebt hat. Wir werden daher morgen den Sylvester-Abend nicht feiern. Wir waren gewohnt ihn mit Zittels || zu verbringen. Voriges Jahr war es zum ersten Mal nicht möglich.
Sie werden wohl in Rapallo ein frohes Neujahr feiern. Meine herzlichen Glückwünsche zu demselben, Ihnen und Ihrer lieben Frau. Verbringen Sie recht frohe Tage bis der 70. Geburtstag mir Gelegenheit giebt, Ihnen auf’s Neue meine getreue Gesinnung Dankbarkeit und Verehrung zum Ausdruck zu bringen.
Ihr treu ergebener
R. Hertwig.
a korr. aus: ist