Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 20. Oktober 1903

PROFESSOR RICHARD HERTWIG

MÜNCHEN

SCHACKSTRASSE 2

d. 20. October 1903

Hochverehrter lieber Freund!

In den letzten Tagen haben Sie mich mit literarischen Geschenken so reich bedacht und mich so sehr beschämt, daß ich wirklich in Verlegenheit bin, wie ich es Ihnen erwidern soll. Zuerst erhielt ich Ihre wundervollen Kunstformen der Natur Heft 9 und kurz darauf Ihre Anthropogenie mit der Beilage [populäre Ausgabe der Welträthsel]. Ich kann nur mit einem kurzen Aufsatz mich revanchiren. || Die Anthropometrie hat ja ein ganz neues Gewand bekommen. Ich meine damit nicht den Umschlag, sondern die vielen wundervollen Illustrationen, die ich mir heute angesehen habe, das genauere Studium auf später verschiebend.

Sie wollen nun also doch mit der Reise nach Sicilien Ernst machen und Ihren 70. Geburtstag ausser Landes feiern. Mir thut es Leid, daß ich an diesem festlichen Tag nicht wieder wie vor 10 Jahren Ihnena persönlich gratuliren kann. Ich hoffe aber sicher darauf, daß Ihre Reise Sie sei es auf dem Hinweg sei es auf dem Rück-||weg über München führen wird. Ich möchte Sie dann zugleich auch im Namen meiner Frau herzlichst bitten unser Gast zu sein. Sie wissen ja, daß unsere Wohnung jetzt geräumig genug ist um lieben Logisbesuch beherbergen zu können. Also ich rechne auf Ihr Kommen!

In der Zeitung werden Sie wohl gelesen haben, wie ein Radfahrer Zittel übel mitgespielt hat. Zittel wurde überfahren und hat dabei die Kniescheibe gebrochen; er liegt zur Zeit noch in der chirurgischen Klinik von Scanzoni. Ob das Knie gut heilen wird ist sehr fraglich; wahrscheinlich wird Zittel wohl || eine das Gelenk ersetzende Stütze tragen müssen. Da er mit Rücksicht auf sein schweres Herzleiden nicht viel gehen darf, wird er allerdings die behinderte Actionsfreiheit nicht so sehr vermissen. Mit dem Herzleiden geht es, Dank der vorzüglichen Behandlung unseres neuen Kliniker’s Müller auffallend gut.

In meiner Familie geht es gut. Meine Schwägerin hat mit Glück sich ihre Gallensteine operiren lassen. Meine Schwiegermutter leidet gar nicht mehr an den Folgen ihres Unfalls. Unser Walther ist nicht nur mir, sondern auch seiner Mama über den Kopf gewachsen; er ist ein eifriger Naturforscher, während Otto immer mehr Talent für Malerei entfaltet.

Mit vielen herzlichen Grüßen von Haus zu Haus

Ihr in treuer Freundschaft und Verehrung ergebener

R. Hertwig

a eingef.: Ihnen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
20.10.1903
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30506
ID
30506