Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 25. April 1900

München d. 25. April 1900.

Hochverehrter und lieber Freund!

In den ersten Monaten dieses Jahres bin ich ein abgehetzter Arbeitsgaul gewesen, der sich faul hinlegt, wenn er der Arbeitspeitsche sich entziehen kann. So bin ich denn auch zu keinem Briefschreiben gekommen, wenn ich nicht durch äussere Verhältniße dazu gezwungen wurde. Grund der vielen Arbeit war die neue Auflage meines Lehrbuchs, die Ihnen in einigen Tagen durch Fischer zugehen wird. Ich habe enorm viel Literatur durchgearbeitet, || fast immer mit dem Endresultat, daß das Studium vona vielen Hundert Seiten mich nur veranlasst hat, hie und da ein Wort ganz abzuändern, abzuschwächen oder zu verstärken. Immerhin habe ich an keiner Auflage so viel abgeändert, wie an der diesjährigen. Die Abänderungen sind mehr mit Rücksicht auf die Herren Collegen, als auf die Studenten gemacht.

Unter diesen Verhältnißen bin ich vollkommen um meine Ferien-Erholung gekommen. Ich bin zwar zum Zoologentag nach Graz gegangen und von da auf 2 Tage nach Wien. Aber derartige zum Handwerk gehörigen || Reisen, sind mehr Strapazen als Erholungen.

Haben Sie die Bierzeitung gelesen die Möbius in der Academie verbrochen hat, als er über den Begriff des aesthetisch Schönen beim Anschauen der Thiere sprach. Die Einzelheiten sind erheiternd, das Lesen des Ganzen freilich mehr ermüdend.

Für das neue Heft Ihrer Kunstformen sage ich Ihnen herzlichen Dank. Kürzlich stieß ich beim Durchsehen meiner Sammlung auf ganze Berge von Fischschuppenpraeparate. Soll ich Ihnen noch einige absonderliche Formen heraussuchen? Es wird Sie interessiren, daß viele der Kunstformen in der Neuzeit im || Kunstgewerbe verwerthet worden sind. Für den Geburtstag meiner Frau hat meine Schwiegermutter eine nach Ihren Zeichnungen entworfenen Broche gekauft. Bei ihrer Verehrung für Ihre Person wird das Schmuckstück meiner Frau ganz besondere Freude machen.

In meinem Hause geht es gut. Walther ist ein recht tüchtiger Schüler geworden, Otto ist ein schlimmer Leichtfuß, dem zu viel Tollheiten im Kopf herumschwirren, als daß er seine Begabung ganz ausnutzen könnte. Nun, mit der Zeit wird wohl sein Most auch zu Wein vergähren.

Mit vielen herzlichen Grüßen auch an Ihre liebe Frau

Ihr allzeit getreuer

Richard H.

a eingef.: von

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
25.04.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30498
ID
30498