Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, Pertisau (Achensee), 7. August 1895

Pertisau (Achensee) Villa Kaan

d. 7. August 1895.

Hochverehrter lieber Freund!

In der Zeitung lese ich, daß Ihnen Ihr Bein wieder einmal einen schlimmen Streich gespielt hat und daß Sie anstatt Ihre Ferien genießen zu können, an das Haus gefesselt sind. Ich schreibe Ihnen um Ihnen zugleich auch im Namen meiner Frau und der Familie Zittel gute Besserung zu wünschen. Ich habe mit Zittel gemeinsam eine Villa in der Pertisau gemiethet. Meine Frau ist mit den Kindern schon seit 6 Wochen hier in der herrlichen Gebirgsluft. Ich bin mit meinem Vater vor 8 Tagen || nachgefolgt. Mit dem Aufenthalt sind wir sehr zufrieden. Zwar ist das Wetter in der letzten Zeit sehr unbeständig, indem es jeden Tag mindestens einen schweren Regenguß giebt. Aber das Haus, in dem wir wohnen, ist sehr comfortabel eingerichtet, sodaß wir auch bei Regenwetter ganz behaglich untergebracht sind.

Meiner Frau geht es recht gut. Trotz wiederholter sehr genauer Untersuchung hat mein Hausarzt nichts mehr finden können. Er ist der Ansicht, daß mit Ausnahme einer kleinen Bronchiektasie, welche den schwachen Husten unterhält, die Lunge vollkommen gesund ist. Dasa Aussehen und die Stimmung meiner Frau sind in Folge dessen ganz vorzüglich. Ganz || wundervoll bekommt der Aufenthalt den Kindern, welche den ganzen Tag im Freien sind.

In der Pertisau befindet sich seit vorgestern auch der Geologe Barrois mit seiner Familie. Er ist ein liebenswürdiger Mann, mit dem wir viel zusammenkommen werden. Wir haben schon mehrere gemeinsame Spaziergänge gemacht.

Oscar ist noch in Berlin. Durch sein Decanat zurückgehalten kann er erst am 15. August seine Ferien antreten. Er will an die See gehen.

Haben Sie gehört daß Selenka seine Professur niedergelegt hat? Er ist ein unruhiger || Charakter, dem es in Erlangen zu kleinstädtisch herging. Er siedelt nach München über und will an der Universität lesen. Auf meinen Antrag hin wird seine Stellung voraussichtlich der Art geregelt werden, daß er Honorarprofessor wird.

Von Walther habe ich lange nichts gesehen und gehört. In der Zeitung las ich, daß er im Frühjahr bei der Secession ausgestellt hat. Ich habe damals die Ausstellung leider nicht besuchen können, da ich nicht in München war. Daß seine Bilder angenommen worden sind, ist ein erfreuliches Zeichen, daß er tüchtige Fortschritte gemacht hat.

Herzlichst grüßt Sie, Ihre liebe Frau und Familie

Ihr treu ergebener

R. Hertwig.

Viele Grüße von meiner Frau, meinem Vater und Zittels!

a korr. aus: In

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.08.1895
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30489
ID
30489