Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, Villafranca, 17. Mai 1875

Villafranca den 17ten Mai 1875.

Hochverehrter Herr Professor!

Ihr Brief, der so lang ersehnte, wurde uns heute eine liebe und angenehme Unterbrechung der wenig angenehmen und freudigen Beschäftigung des Packens. Sehr leid that es uns und hat uns recht verstimmt, daß zur Zeit Ihres Schreibens noch keiner unserer 3 an Sie addressirten Briefe sein Ziel erreicht hat. Ich kann es mir nur so erklären, daß hier in der Postverwaltung eine grenzenlose Bummelei herrscht. Den ersten Brief nach Florenz haben wir Mittwoch Abend zur Post gegeben, den zweiten || ebenfalls nach Florenz addressirten Freitag Mittag; wenn nicht irgendwie der Brief liegen geblieben wäre hätte der erste Sie ganz sicher noch erreichen müssen, wahrscheinlich sogar noch der zweite. Den 3ten nach Jena addressirten, dem ich meinen Anschlag beigefügt hatte, werden Sie inzwischen wohl erhalten habena. Daß hier die Postverwaltung sehr bummelig ist, geht daraus hervor, daß Ihr Brief erst heute, Montag also, nach 10 Tagen in unseren Besitz gelangt ist. Von Nizza nach Villafranca ist er 4 Tage unterwegs gewesen.

Da die Zeit zum Briefeschreiben heute zu knapp uns zugemessen ist, muß ich wohl ausführlichere Nachrichten verschieben, bis ich wieder in Jena bin. Heute nur so viel über || den Gang unserer Arbeiten, daß Oscar sich auf die Seeigel hat beschränken müssen. Dredschen kennen die Fischer hier ebenso wenig, wie in Corsica, der Fischmarkt in Nizza unterscheidet sich vom Fischmarkt in Ajaccio und durch viel größere Anzahl von Fischen. Mit Medusen haben wir kaum Glück gehabt; wir haben 6–7 Arten gefangen, aber immer nur in einem Exemplar, so daß eine Beschreibung unmöglich war. Siphonophoren haben wir in großer Anzahl gefangen. Da aber hier die Eier nie in größeren Quantitäten zu bekommen waren, hat Oscar b vorgezogen sich auf die Seeigel zu beschränken, die ihn auch ausreichend beschäftigt haben.

Was mich anbetrifft, so ist meine || Untersuchung ebenfalls auf die Radiolarien, welche ich in Ajaccio gefangen habe beschränkt geblieben. Ich habe zu Hunderten die Schwärmer von Sphaerozoum, Collozoum, Collosphaera studiren können. Letzthin hatte ich auch noch das Glück die Schwärmer der Thalassicolla nucleata zu beobachten. Wenn ich das Fazit meines Aufenthaltes ziehe so bin ich mit den Beobachteten recht zufrieden, wenn auch das Lücken und Sprungweise der Beobachtung, wie es ja am Meer nicht anders möglich ist, manchmal mir Unbehagen bereitet.

Unser Reiseplan ist folgender: Morgen Dienstag nach Genua, hier bleiben bis Donnerstag früh, dann nach Turin, Freitag nach Genf, 1tägiger Aufenthalt in Genf, Sonntag nach Basel, Montag Dienstag bis nach Jena, wo ich Dienstag Abend eintreffen werde.

Herzliche Grüße an Sie und Ihre liebe Familie

von Oscar und Ihrem treu ergebenen Richard Hertwig

Koch wünsche ich von ganzem Herzen Glück zur erhaltenen Stelle.c

a korr. aus: hat; b gestr.: s; c Text weiter am oberen Rand von S. 4: Koch … Stelle.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
17.05.1875
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30424
ID
30424