Oscar Hertwig an Ernst Haeckel, Berlin, 6. November 1889
BERLIN W., DEN 6 November 1889.
MAASSEN-STR. 34.
Verehrter Freund!
Für die freundliche Überreichung der neuen Auflage Ihrer Schöpfungsgeschichte sage ich Ihnen besten Dank und wünsche, dass eine neunte Ausgabe bald nachfolgen werde. Ich werde Ihr stattlich vermehrtes Werk in diesem Winter häufig zu Rathe ziehen, da ich diesmal ein Publicum über ältere und neuere Entwicklungstheorien angekündigt habe. ||
In meiner Familie geht bisher Alles gut. Das Töchterchen ist ein sehr artiges Kind; es wird mit Soxlet aufgezogen, da meine Frau die Annahme einer Amme vermeiden möchte. Die Gewichtszunahme daher ist freilich bisher nur eine geringe gewesen. Ihr Pathe Günther wird jetzt schon recht unterhaltener und macht den Eltern viele Freude, wenn er sich auch mit dem Sprechenlernen Zeit nimmt. ||
Im nächsten Jahr wird in Berlin Anfang August der internationale Medicinercongress tagen. Ich habe die Vorbereitung für die anatomische Section mit zu treffen und in Folge dessen manche Schreiberei, die ich leider von meinen Schultern abwälzen kann. Gegenbaur der in das anatomische Organisationscomité mit gewählt war, hat abgelehnt, ich weiss eigentlich nicht, warum, da er ja keine Arbeit davon gehabt hätte. Im Übrigen wollte ich || auch, der Kelch wäre vorübergegangen, da ich von allen Congressen kein Freund bin und lieber am 3t August von Berlin weggereist wäre als bis zum 10t die hochwichtigen Verhandlungen mitzumachen.
Mit der Bitte Ihre liebe Frau Gemahlin und alle Jenaer Freunde bestens von mir zu grüssen, bleibe ich
Ihr treu ergebener
Oscar Hertwig.