Oscar Hertwig an Ernst Haeckel, [Bonn], 19. Juni 1874
Freitag den 19. Juni 1874.
Sehr geehrter Herr Professor!
Zu meiner größten Freude bin ich endlich in der Lage, Ihnen in Betreff der Berufungsangelegenheit sichere Nachrichten geben zu können. Die hiesige Facultät hat der Regierung mehrere Vorschläge gemacht, in ersten Linie den Vorschlag, Sie als Professor für vergleichende Anatomie und Director des vergleichend anatomischen Museums nach Bonn zu berufen und v. La Valette zum ord.a Prof. für normale Anatomie und zum Director des anatomischen Instituts zu ernennen. Außerdem sind für die Stelle noch Prof. Gegenbaur und ein oder zwei andere Professoren, deren Namen mir nicht genannt wurden, von der Facultät vorgeschlagen worden. Das Schreiben || an die Regierung wird heute oder Morgen von hier nach Berlin gehen, da die einzelnen Facultätsmitglieder und der Curator ihre Unterschriften schon gegeben haben. Prof. Binz, der mir gestern Abend die Angelegenheit unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgetheilt und zugleich aufgefordert hat, Sie über den Stand der Angelegenheit in Kenntniß zu setzen, sagte mir, daß er, wie die Vorschläge abgefaßt seien, nicht zweifle, die Regierung werde auf den in erster Reihe gemachten Vorschlag eingehen, schon deswegen, weil dabei die Stellenbesetzung in einer für Prof. von La Valette angenehmen Weise gelöst sei. Sollten Sie die Berufungb annehmen, dann können Sie ziemlich unbeschränkt über die Wahl der Vorlesungsthemata bestimmen, da Sie ja in Ihrer Stellung besondere Zwangscollegien und Curse wie || der Anatom es muß, nicht zu halten brauchten. Zeit zum Arbeiten erhalten Sie in der Weise natürlich auch in Hülle und Fülle. Das anatomische Institut ist so geräumig und der Art eingerichtet, daß es sich sehr bequem in zwei Hälften, eine für vergleichende Anatomie, die andere für menschliche, theilen läßt; wovon gestern Prof. von La Valette sprach. Das Institut ist ferner zur Ergänzung der Sammlungen sehr gut dotirt und lassen sich die einzelnen Summen aus dem einen in den anderen Fond übertragen. Da wie Sie selbst wissen, Prof. von La Valette ein sehr umgänglicher und wenig ehrgeiziger Character ist, so bezweifle ich nach Allem nicht, daß Sie hier eine angenehme Stellung nach Ihrem Wunsche finden würden. Es ist mein sehnlichster Wunsch, daß Ihre Hierherkunft || das Endresultat der Berufungsverhandlungen bilde.
Von Richard werden Sie gehört haben, daß Prof. Waldeyer und La Valette die Redaction des Archivs für microskopische Anatomie übernommen haben. Prof. Gegenbaur und Cohen sind über den Titel der neu zu begründenden Zeitschrift noch nicht entschlossen. Gegenbaur schlug vor dieselbe als Archiv oder Zeitschrift für Morphologie erscheinen zu lassen. Sollte es sich da nicht einrichten lassen, daß Prof. Gegenbaur und Sie, da sie beide ja doch nach einer Richtung wirken, die Redaction gemeinschaftlich in die Hand nehmen?
Hoffentlich erhalte ich bald erwünschte Nachrichten von Ihnen. Prof. Binz läßt Sie vielmals grüßen und bitten, da die Facultät in Bonn sich in tiefes Schweigen gehüllt hat, auch in Jena nichts über die Berufungsangelegenheit, solange keine Entscheidung von der Regierung getroffen ist, bekannt werden zu lassen.
Hat mein Pathchen sich gesund und kräftig entwickelt, wie viel ist der Druck Ihres Buches vorgerückt? Mit herzlichstem Gruß an Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin
Ihr ergebener Hertwig.
a eingef.: ord.; b korr. aus: Wahl