Hertwig, Oscar

Oscar Hertwig an Ernst Haeckel, Bonn, 12. August 1871

Bonn den 12ten August 1871.

Hochgeehrter Herr Professor.

Ihren Brief vom achten des Monats haben wir gestern erhalten und wurden wir durch den Inhalt desselben ziemlich berührt, weniger durch den Tadel, den er in reichem Maße enthält, als durch die Schärfe und Bitterkeit des Ausdrucks. Ich verlasse mich vollkommen auf Ihr Urtheil, daß die Arbeiten in der Form nicht druckreif waren, da es mißlich ist als noch unerfahrener Verfasser selbst darin ein richtiges Urtheil sich anmaßen zu wollen. Aber um so mehr muß ich mich wundern, daß Sie nicht gleich von Anfang an uns darauf aufmerksam gemacht haben. Auch glaube ich annehnen zu können, daß der Redaction der jenenser Zeitschrift die Arbeiten in ihrer ersten Auflage nicht unbekannt gewesen sein werden; warum erklärte dieselbe nicht gleich, daß sie in dieser Form die Abhandlungen || in ihre Blätter nicht aufnehmen würde?

Als Sie nach einem früheren Briefe nicht mit allem zufrieden gewesen zu sein schienen, hatte sich Richard mit der Bitte an Sie gewandt, ihm unumwunden Ihre Bedenken zu äußern. „Je herber das Urtheil ausfallen sollte, um so lieber würde es uns sein, da wir uns um so weniger der Gefahr aussetzten, unreife Gedanken zu produciren, etc.“ Sie antworteten nur darauf, daß wir die Arbeiten noch einmal durchsehen, Einiges weglassen sollten. Obwohl durch diesen Ihren Brief, unsre Befürchtungen, daß Sie erheblichere Bedenken gegen die damalige Form hegten, vollkommen zerstreut waren, glaubten wir es uns und Ihnen schuldig zu sein, den Aufsatz noch einmal ganz umzuarbeiten und ließen uns deßhalb von Hause den Savigny und einen Theil der eingesammelten Ascidien nachschicken.

Möglich, daß bei dieser Abänderung die Form gelitten hat, der Inhalt ist jedenfalls || ein besserer geworden. Vielleicht haben wir zu viel Zeit auf die Nachuntersuchung verwandt, die wir besser der Fassung zu gute hätten kommen lassen sollen. Wenn Sie die neue Bearbeitung mit der alten vergleichen, so werden Sie finden, daß fast kein Stein auf dem andern geblieben ist. Daß dies nur in der Absicht geschah, die Sache zu verbessern, werden Sie uns gern zugestehen. Wir hätten gewünscht, die Zeichnungen nach dem neuen Format neuzeichnen zu können, bei der Kürze der Zeit war dies unmöglich. Was den Styl anbetrifft, so haben wir so bündig und schmucklos wie möglich den Sachverhalt darzulegen gesucht. Bei der Eile des Niederschreibens können allerdings einige orthographische Fehler in den Text mit eingeschlichen sein; wir glaubten bei einer Revision der Druckbogen dieselben leicht ausmerzen zu können. In Bezug auf die Untersuchungen selbst scheuen || wir uns nicht die niedergelegten Beobachtungen und ausgesprochenen Ideen vor der Öffentlichkeit auch jeder Zeit zu vertreten. Wenn die Redaction der Jenenser Zeitschrift Bedenken trug, die beiden Arbeiten aufzunehmen, so würden wir gern dieselben einer zweiten Umänderung unterworfen haben, so unangenehm es ist an einer Arbeit, die man abgeschlossen haben möchte, immer wieder auszubessern, oder wir würden überhaupt die derzeitige Veröffentlichung aufgegeben haben, wenn dies auch hart ist bei einer Arbeit, auf die man eines Jahres viel Zeit und Mühe verwandt hat. Indem Sie selbst die Redaction übernommen haben, haben Sie einen Freundschaftsact geübt, der uns erröthen macht, und uns zugleich in die Lage versetzt, daß wir ein Werk publicirt haben, welches nicht ganz aus unserer Feder geflossen ist. || Glauben Sie nicht, daß wir taub sind gegen die uns von Ihnen gemachten Vorwürfe. Vieles, Vieles ist daran wahr. Aber um so mehr werden wir uns gegen Anschuldigungen vertheidigen müssen, die wir einestheils für zu scharf, anderntheils für nicht zutreffend halten müssen. Es ist wahr, daß wir in vielen Stücken nachlässig und unordentlich sind und Niemand hat dies vielleicht schon lebhafter empfunden, als wir. Für viele Lebensberufe ist es ohne Gefahr, sich darein zufrieden zu geben. Bei dem aber, was wir zu erreichten trachten, könnte es allerdings eine Klippe werden, an der bessere Bestrebungen scheitern möchten. Daher werden wir Ihnen für diesen Tadel stets dankbar sein, um so mehr, als wir wissen, daß er von Ihnen nur wohlgemeint ist, und werden stets ohne Grollen von Ihnen Winke annehmen, die uns vor Abwegen bewahren sollen. Aber setzen Sie || in unsern Eifer und unsre Strebsamkeit keine Zweifel, denn sonst verkennen Sie uns und thun uns Unrecht. Daß Sie uns an die Schäden und Mängel unserer Arbeit erinnert haben, hat uns lange nicht so weh gethan, als die gegen unsern guten Willen erhobenen Anklagen. Im Übrigen versichern wir Ihnen, daß Ihr herber Tadel uns nicht muthlos machen und weiter keine Folgen auf uns ausüben soll, als daß wir uns in Zukunft noch mehr zusammen nehmen werden, um ohne Scheu den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Wir hatten uns schon früher vorgenommen in den großen Ferien für ein paar Tage nach Jena zu kommen und werden daran jetzt um so mehr festhalten, als bei diesem unliebsamen Gegenstande zur Erörterung noch Manches übrig geblieben sein möchte, das schriftlich schlecht zu besprechen ist. ||

Ich theile Ihnen noch nachträglich mit, daß wir Kästchen nebst Inhalt richtig empfangen und noch an demselben Tage Brief und Schlüssel bei Frau Professor Bleek abgegeben haben. Für die Übersendung ihrer neuesten Arbeit unseren besten Dank. Bis zum Beethovenfest bleiben wir in Bonn und arbeiten Einiges über Retina und das Auge der Daphnien, später werden wir einige Tage bei Verwandten in Friedberg zubringen und dann nach Mühlhausen gehen. Gestern haben wir einen Brief vom verehrten Bona Grazia bekommen, der uns eine große Freude bereitet hat. Wenn die Correctur der Arbeiten noch nicht abgeschlossen sein sollte, so läßt Sie Richard ersuchen bei der Schilderung der Leber von Cynthia microcosmus || den Ausdruck traubenförmige Drüse in zusammengesetzte schlauchförmige umändern zu wollen. Für die wohlwollende Absicht, die Sie bewog, unsere Arbeiten in eigener Person einer Revision zu unterziehen, unseren herzlichsten Dank mit dem Bedauern, daß durch uns Ihnen diese zeitraubende und mühsame Arbeit erwachsen mußte. In der Hoffnung, daß Sie uns auch in Zukunft Ihr Wohlwollen bewahren werden, versichere ich Sie der aufrichtigen Anhänglichkeit

Ihres treu ergebenen

Oscar Hertwig.

Herzlichen Gruß von Richard und mir an Sie, Ihre Frau Gemahlin Frau Professor und Fräulein Huschke.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.08.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30362
ID
30362