Hartmann, Eduard von

Eduard von Hartmann an Ernst Haeckel, Bad Elster, 6. Juli 1875

Bad Elster (Sachsen) den 6.7.1875.

(in der „Hygea“)

Hochgeehrter Herr Professor!

Sie werden vermuthlich in diesen Tagen das Juliheft der „Deutschen Rundschau“ empfangen, in welchem mein Artikel erscheinen soll. Ich hatte eine vollständige Bibliographie Ihrer Arbeiten vorangestellt, und im Text auf dieselbe verwiesen; Rodenberg hat mich aber gebeten dieselbe, sowie die Verweisung im Text streichen zu dürfen, weil der Aufsatz das vorgeschriebene Maß überschritte. In meinen „Gesammelten Studien und Aufsätzen gemeinverständlichen Inhalts“, deren Erscheinen auf den Januar 76 vertagt ist, werde ich die ursprüng-||liche Fassung wiederherstellen.

Hoffentlich sind Sie mit gestärkter Gesundheit und reicher wissenschaftliche Ausbeute von ihrer Italienischen Reise zurückgekehrt. Die Aufsätze von Moritz Wagner in den letzten Nummern des Auslandes, in deren er seine „Migrationstheorie“ klarer als bisher darlegt, werden ohnehin Ihrer Beachtung nicht entgangen sein. Ich habe im April eine längere Abhandlung über „Immanuel Hermann von Kirchmann’s erkenntnistheoretischen Idealismus“ (als Ergänzung zu meiner „Kritischen Grundlegung des transcendentalen Realismus“) geschrieben, die als Broschüre erscheinen wird, und Ihnen in der ausführlichen Besprechung des || Causalitätsbegriffes einiges Interesse abgewinnen könnte. Im Juni schrieb ich eine andere Broschüre: „Zur Reform des höheren Schulwesens“, die auch im Herbst herauskommen soll (Sie werden wissen, daß wir in Preußen jetzt die Feststellung eines Unterrichtsgesetzes in Aussicht haben.).

Im Mai schrieb ich endlich eine Arbeit, die ich den ganzen Winter mit mir herumgetragen „Zur Physiologie der Nervencentra“. Es ist dieselbe hauptsächlich nach Wundt u. Maudsley gearbeitet; auch an einer Stelle auf Ihre Anthropogenie recurrirt. Ich habe mich darin bemüht, den Reflexact der Ganglienzelle (die Grundlage alles psychischen Geschehens) schärfer als bisher zu beleuchten. Ich bitte || Sie, Ihr Urtheil über meinen naturphilosophischen Standpunkt nicht vor geneigter Kenntnißnahme dieser Arbeit abschließend zu formuliren. Dieselbe wird als „Anhang“ zur 7ten Auflage der Philosophie des Unbewußten im Herbst beigegeben werden, und vorher noch in Reich’s „Athenäum“ (Heft 4–7) abgedruckt werden.

Den Prozeß gegen die „Grazer Tagespost“ habe ich fallen lassen, nachdem dieselbe eine Ehrenerklärung und Desavou veröffentlicht hatte; auch H.I.Klein in seiner „Gäa“ hat diese Erklärung abgedruckt. Somit darf diese widerwärtige Angelegenheit als erledigt gelten.

In bekannter Hochachtung verbleibe ich

Ihr

ganz ergebenster

E.v.Hartmann.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
06.07.1875
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30202
ID
30202