Krause, Ernst

Ernst Krause (Carus Sterne) an Ernst Haeckel, Berlin, 30. Oktober 1877

Berlin N. O.a Friedenstraße 10. II.

den 30.10.77

Lieber Freund!

Seitdem ich die Virchow’sche Rede gelesen habe, gereut es mich fast einige Grobheiten an den Verfasser verschwendet zu haben, denn diese Rede ist ja im höchsten Grade farblos u. unbedeutend. Wahrscheinlich hat er nach Sitte der Volksvertreter den stenographischen Bericht nachher revidirt, u. allerlei gewagte Ausfälle gemildert und geglättet. Wenn man diese vorsichtige Stylübung liest u. damit denb gelassenen Ausspruch Börners in der Gegenwart: daß Virchow’s Rede der Darwin’schen Theorie wohl den Todesstoß gegeben haben dürfte, vergleicht, so muß man plötzlich laut auflachen. || Leider ersehe ich aber auch, daß die Hellwald’sche Kritik doch nicht ganz treffend ist, der Eindruck der Rede muß eben ein ganz anderer gewesen sein, auf die Zuhörer als auf den Leser. Er erklärt sich ja im Gegentheil mit der Abstammungslehre, sogar hinsichtlich des Menschen ganz einverstanden, obwohl dieser Fuchsbau mit seinen gewundenen Gängen zwei Thüren hat, um zu verhüten, daß der Grimmbart in seinem eigenem Neste gefangen werden könnte. Ich denke er wird gelegentlich noch mancherlei zu hören bekommen, von uns u. andern, denn wie ich höre, will hier Keiner im Allgemeinen seine Partie vertreten: mein Buchhändler der sich zwanzig Exemplare der Virchow’schen Rede angeschafft hatte, um dem ersten Anprall zu genügenc, klagte mir || gestern, er habe noch nicht eine einzige verkauft!

Bei Ihrem Hiersein machten Sie mich freundlichst auf die Zeichnungen neugefundener Wirbelthiere aus Amerika aufmerksam, die im Julihefte des d Silliman’schen Journal of Science and Arts enthalten seien. Ich möchte dieselben gern für den Kosmos kopiren lassen, aber ich kann das Journal weder auf der Königlichen Bibliothek, noch in derjenigen des Gewerbe-Instituts auftreiben. Eine Bestellung des betreffenden Heftes, wenn es überhaupt für sich abgegeben wird, führt erst in zwei Monaten zum Ziele. Ich komme daher wieder um Ihre Vermittlung zu bitten, u. zu fragen, ob Sie mir dieses Heft möglicherweise aus der Jenaer Universitätsbibliothek auf c. 14 Tage leihen || u. unter Kreuzband senden könnten, natürlich auf mein Risico in jeder Richtung. Wie ich aus einer Inhaltsangabe im American Naturalist ersehe, sind in jenem Hefte Abbildungen des Schädels u. der Fußknochen von Dinoceras u. Coryphodon enthalten, die ich gern kopiren ließe, um damit eine Übersetzung der Rede von Marsh zu illustriren, in welcher er die vorweltlichen Wirbelthiere Amerika’s charakterisirt. Ebenso würde ich das Gerippe von Hesperornis regalis für denselben Artikel kopiren lassen. Die Abbildungen von Globigerinen u. Radiolarien, mit denen ich Ihnen vorschlug Ihren Protisten-Artikel – auf den wir sehnlichst warten – zu illustriren, befinden sich in der Nature No 344 (1876)e, u. sind zum Theil bestechend schön. Vielleicht hätten sie die Güte, dieselben einmal nachzuschlagen u. mir die Nummern zu bezeichnen, von denen ich eventuell f Cliché’s besorgen soll. Wie sehnlich g ein Artikel von Ihnen im Kosmos erwartet wird, mögen Ihnen beiliegende Stimmen aus der Unterwelt andeuten. Mit vielen herzlichen Grüßen

Ihr ergebenster

E Krause

a eingef.: N. O.; b korr. aus: die; c korr. aus: genügt; d gestr.: Am; e eingef: (1876); f gestr.: Figuren; h gestr.: I

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
31.10.1877
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 29434
ID
29434