Krause, Ernst

Ernst Krause (Carus Sterne) an Ernst Haeckel, Berlin, 16. Juni 1877

Berlin N. O. Friedenstraße 10. I.

den 16.6.77.

Lieber Freund!

Der Kosmos stößt doch auf größere Schwierigkeiten als ich geglaubt habe, u. ich möchte Sie recht sehr bitten, mir in dieser Richtung Ihren Rath nicht vorenthalten zu wollen. Das Publikum meldet sich mündlich u. schriftlich bei mir mit der Klage, das Journal sei zu gelehrt; Aufsätze wie die von Caspari u. Overzier blieben Ihnen völlig unverständlich, u. selbst Beiträge wie die von Hermann Müller müßte es studiren. Ich hatte mich grade wegen der Schwerfälligkeit einiger dieser Leistungen veranlaßt gesehen, einen leichteren Ton in meinen Artikeln u. den Referaten anzuschlagen; das scheint aber wieder den Häuptern der Partei nicht zuzusagen. Einen Brief von Oskar Schmidt an Alberts, den ich Ihnen beilege, kann ich nur so verstehen, daß ihm der Ton unserer Zeitschrift ganz u. gar nicht gefällt, u. dem Datum nach dürfte es sogar die kleine unschuldige Anzeige der Anthropogenie gewesena sein, die ihn so gewaltig verschnupft hat. Was ist nun in diesem Dilemma zu thun? Unser Publikum müssen wir, meine ich, in dem großen Kreise der Gebildeten suchen, u. die verlangen durchaus eine muntere, anregende Darstellung. Ein reinwissenschaftliches Fachblatt daraus zu machen, bin ich nicht im Stande, u. dasselbe würde sich noch viel schlechter rentiren, als irgend eine zoologische oder botanische Fachzeitschrift. Meine Ansicht ist demnach, daß wir uns um den Zorn einzelner Olympier, wie O. Schmidt, Weismann u. s. w., so schmerzlich es für die Angehörigen ist, nicht || kümmern können; Allen werden wir es niemals Recht machen. Allerdings hätte ich von dem Genannten eine solche Absage am wenigsten erwartet. Ich bitte Sie aber dringend, mir Ihre Meinung darüber zu sagen, in welcher Weise wir fortfahren sollen.

Was ich an den bisherigen Heften für ziemlich verfehlt halte, ist das Vorwalten des Raisonnements, selbst in den Jäger’schen Artikeln. Ich glaube unser Publikum verlangt nach derberer Kost, nach Zergliederung von Thatsachen, Vorführung von Beispielen. In diesem Sinne werden uns Ihre Bathybius u. Protisten-Artikel einen erwünschten Anfang u. ein Fundament geben. Für das nächste Heft hatte ich unter andern ein Referat über die Gasträaden bestimmt, habe es aber wieder zurückgezogen, weil ich glaube, darin der Wichtigkeit des Gegenstandes nicht genugsam gerecht geworden zu sein. Ich finde, daß wir der Theorie, wie den lebenden Vertretern der Gasträa, je einen größeren Original-Artikel schuldig sind, u. daß wir denselben reichlich mit Abbildungen illustriren müßten. Es wäre natürlich am schönsten, wenn Sie selbst diese Artikel schrieben, aber wenn Sie Ihren Widerwillen dagegen nicht bezwingen können, würde ich es schon besorgen, selbst auf die Gefahr hin, Herrn Prof. Schmidt noch mehr zu erzürnen. Eine sehr reichliche Bewilligung von Cliché’s u. Zeichnungen, würde aber Ihrerseits nöthig sein, um unser Publikum zu erwärmen. Für den ersten Artikel (die Theorie) dürfte ein Cliché der Entwicklungsgeschichte von Monoxenie || u. vielleicht von Olynthus (beide von Reimer) wohl hinreichen. Die Figuren 175–179 der Anthropogenieb wären zwar ebenfalls c nicht überflüssig.

Auf die cenogenetischen Formen bei unsrem Publikum näher einzugehen, halte ich kaum für geeignet. Dafür müßte wohl auf die Original-Abhandlung verwiesen werden. Dagegen möchte ich Ihre freundliche Liberalität desto mehr für die zweiten Artikel ind Anspruch nehmen, damit wir dieselben mit Abbildungen der hauptsächlichsten Gasträaden schmücken können: Ein Cliché der beiden Ansichten von Haliphysema hat Alberts bereits von Engelmann bezogen, aber ich glaube, wir müßten für diese Abhandlung dann auch Bilder der andern beiden Haliphysema u. von Gastrophysema in entsprechender Größe auf Holz schneiden lassen, vielleicht nur die Hauptfiguren, ohne die Details? Ein Cliché der Kallispongia archeri ist bereits bestellt. Was meinen Sie dazu? Und soll ich eventuell die e Überzeichnung auf Holz besorgen lassen, oder würden Sie vorziehen, es unter Ihrer Aufsicht thun zu lassen? Im letzteren Falle würde ich Sie bitten, Ihren Zeichner anzuweisen, daß er sich die erforderlichen Holzstöcke unter Bezeichnung der Größe u. Zahlf bei Herrn Alberts bestellt.

Der Schmerz, den mir gestern die Einsendung des Schmidt’schen Briefes machte, wurde mir einigermaßen versüßt, durch einen sehr freundlichen Brief von Dr. Fritz Müller, der mir zwei kleine Schmetterlings-||Beiträge sendete, u. Weiteres in Aussicht stellt. Die Betheiligung des Publikums ist zwar ebenfalls nicht überraschend groß, aber wir sind doch trotz des absoluten Schweigens der Presse bereits auf 600 Abonnenten gekommen, die zwar noch lange nicht die Kosten decken, aber als Anfang nicht zu verachten sind. Das Übelwollen der Facharbeiter fürchte ich so lange nicht, als Sie uns Ihre Gunst u. Unterstützung nicht entziehen; ich würde in demselben Augenblicke die Position verloren geben u. den Posten verlassen. Wenn wir in drei Monaten auch schon Manches gesündigt haben mögen, halte ich es dennoch nicht für angemessen, daß uns Fachgelehrte, die uns Ihre Unterstützung zugesagt hatten, ohne Weiteres aufgeben, ohne auch nur einen Versuch gemacht zu haben, uns auf bessere Bahnen zu lenken, oder uns thatkräftig zu unterstützen. Meines Erachtens geben sie ihre eigene Sache dabei auf, und das ist schlimmer als wenn sie uns niemals ihre Unterstützung zugesagt hätten.

Mit tausend herzlichen Grüßen

Ihr

treulich ergebener

Ernst Krause

a eingef.: gewesen; b eingef.: der Anthropogenie; c gestr.: sehr; d eingef.: Artikel in; e gestr.: Zeich; f eingef.: u. Zahl

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.06.1877
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 29431
ID
29431