Kölliker, Albert

Albert Koelliker an Ernst Haeckel, Würzburg, 12. März 1894

Würzburg 12. März 94.

Mein lieber Häckel!

Ihre Feier und Alles was Sie so freundlich waren, mir zu senden, hat mir tathaft die schönen Tage in Erinnerung gebracht, die wir mit H. Müller und Kupffer in Nizza verlebten. Damals waren Sie noch der junge unschuldige, seines Lebens voll sich erfreuende Mensch, der kein Wässer’chen trübte und Allen eine Freude war. Und mir vor Allem und noch lange Zeit. Was später vorübergehend unsere Beziehungen trübte, ist längst vergessen und bin ich schon seit Langem in dem Stadium, daß ich meine Freude auch an dem älteren Häckel habe, obschon ich immer noch nicht mit allen seiner Anschauungen übereinstimme. Doch davon ist nicht die Rede und möchte ich Ihnen vor Allem sagen, wie sehr || ich mich über alle Ihre Leistungen freue und wie sehr sympathisch mich die meisten derselben anmuthen, troz des Anathemas der bayrischen Kammerherrn von der schwarzen Farbe.

Eines hat mich bei Ihrer Feier und dem Jubilaeum von Virchow in Verwunderung versezt und mir gezeigt, wie schnell man vergessen und übersehen wird. Wer spricht noch von Siebold und mir, die wir zuerst nachwiesen, daß das Thierreich mit einzelligen Wesen beginne, und die Physiologie der Zelle durch den Nachweis der Contractilität derselben begründeten. Wer weiß noch, daß ich es war, der vor allem der Schwann’schen Lehre von der freien Zellenbildung den Todesstoß gab und durch die Verfolgung der Entwicklung namentlich der Cephalopoden nachwies, daß das gesammte Zellenmaterial der || fertigen Geschöpfe in ununterbrochener Formfolge von der Eizelle abstammt. Hat Virchow je einen solchen Nachweis gegeben? Aber das Wort omnis cellula e cellula blendete alle, obschon V’s Nachweis im pathologischen Gebiete, der einzige, den er anstrebte, sicher weniger als gelungen war.

Sie werden vielleicht denken, daß das Alter ungerecht macht, aber wenn dem auch so wäre, so werden Sie sicher entschuldigen, daß ich Ihnen offen mitgetheile, daß ich der Meinung bin, Ihnen etwas mehr auf Ihren Lebensweg mitgegeben zu haben, als grobe Anatomie.

Ich werde über die Ostertage in Jena bei meinen Kindern sein, aber ganz incognito, und würde es mich sehr freuen, wenn ich da Gelegenheit hätte, Sie zu sehen. Der incognito bezieht sich darauf, daß ein Anfall von Podagra, an dem ich voriges Jahr litt, es mir räthlich erscheinen läßt, || sehr still zu leben und namentlich allen größeren Anforderungen, die Gesellschaften an einen stellen, sein zu bleiben.

Mit besten Grüßen und auf baldiges Wiedersehen

Ihr alter Freund

A. Koelliker

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.03.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 28910
ID
28910