Krauseneck, Gustav Adolf

Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Lassnitzhöhe, 30. November 1917

Lassnitzhöhe bei Graz, 30. Nov. 1917

Hochverehrter Freund!

Nur vorläufig danke ich Ihnen heute für Brief und Buch. Beides kam während ich in Triest war und beides schien meiner Frau zu kostbar um es den Hässlichkeiten der heutigen Postsendung und der Zensur auszusetzen, so daß ich erst jetzt wieder sehe, wie viel Güte ich Ihnen zu verdanken habe. Von Ihrer lieben, so unendlich viel in Anspruch genommenen Hand einen solchen Brief zu bekommen ist ein großer Vorzug, den, das kann ich sagen, ich voll einschätze. Ganz besonders danke ich Ihnen für die Notizen über die alte Beziehung Häckel – Krauseneck. Ich konnte in Ihren Briefen an meinen Vater (die ich sorgsam aufbewahrt habe) || darüber nichts finden & wie ich Ihrem Sohn schrieb, erhielt ich von dema nun auch verstorbenen Sohne Onkel Seebecks, dem General, das Manuscript einer Art Lebenserinnerungen des alten Generals, zur Abschrift, jedoch mit dessen Antwort auf meine Anfrage, daß eine Veröffentlichung ohne a. h. Genehmigung nicht zulässig sei. Die Blätter enthalten viel Intressantes für den Historiker, aber auch manch freimütige Bemerkung & vielleicht kann ich einmal ihre Drucklegung veranlassen. In einer Einleitung ließe sich manches sonst sagen & da dürfte Ihr Name nicht fehlen. Also nochmals vielen Dank für Ihre treuen Worte. Die Krystallseelen muß ich nun wohl noch etwas ruhen lassen. – Ich kehrte aus Triest sicher zurück mit der Absicht, meine Frau & Schwester erstens nach der Heimat zurückzuführen, die über diese Möglichkeit und das baldige Wiedersehen der Stätte, || wo sich ihr Leben zumeist abgespielt & die der Gefahr der Verwüstung so lange ausgesetzt waren, sehr beglückt sind. Sie leihen diesem Empfinden so liebe Worte & dafür Dank.

Allein wir leben jetzt 2½ Jahre in der Fremde und da hat sich manches angesammelt, was nun, um losgelöst zu werden, viel Zeit & Arbeit fordert, so daß ich zu ernsterem Studium, wie Ihre „letzte“ (aber hoffentlich doch nicht „allerletzte“) Arbeit es erfordert nicht kommeb. Aus der häuslichen Ruhe heraus schreibe ich Ihnen dann meine daraus gewonnenen Eindrücke, zumal Sie mich dazu ermuntern. –

Nach den vom Krieg zerstörten Orten konnte ich ja nicht kommen, aber schon die Wirkung der Beschießung in der Nähe & die Berichte der Dortgewesenen geben ein grausames Bild & wir würden zweifellos zum Gegenstand eines ebensolchen geworden sein, wenn nicht in zwölfter Stunde die Italiener doch den vollen Ernst und Lohn für ihr schmäliches Eingreifen in den Krieg || erfahren hätten Daß die ital. Regierung jetzt nicht, wie die Kundigsten erwarteten, zusammenbricht, ist das Ergebniß der unglaublichen Vollbeherrschung aller Urteile durch die Presse, die der Menge die Wahrheit vorenthält, so daß die wenigen Einsichtigen ganz machtlos sind. Ebenso in Frankreich & besonders Amerika, wo die sogenannte Freiheit den schändlichen Terrorismus aufkommen ließ, der ja ein Volk betört hat. – Nun scheint aber eine Friedenstaube doch wahrhaftig aufgeflogen zu sein. Das Lager der Bolschewiki ist nicht sympathisch, aber wenn selbst daher die Anregung käme, wird der endliche Friede Allen als Erlösung erscheinen. Indeß bis dahin bedarf es noch mancher Klärung!

Empfangen Sie, hochverehrter edler Freund, unsere, meiner Frau, Valentines & meine innigsten Grüße & Wünsche für einen guten Winter und nehmen den herzlichsten Dank für Ihre treue Freundschaft von

Ihrem treuen, alten Verehrer

G. Krauseneck

a eingef.: dem; b eingef.: nicht komme

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
30.11.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27839
ID
27839