Leuckart, Rudolf

Rudolf Leuckart an Ernst Haeckel, Gießen, 28. Mai 1865

Gießen d. 28. Mai 65.

Lieber Herr College!

Vor Allem herzlichen Dank für Brief u. Bild, die mich beide innig gefreuet haben. Noch lieber freilich wäre es mir gewesen, hätte ich Gelegenheit gefunden, Sie persönlich kennen zu lernen. Doch was bisher noch nicht geschehen, wird hoffentlich nicht allzu lange mehr auf sich warten lassen. So halb u. halb hatte ich bereits den Plan gefaßt, Sie in den Pfingstferien zu überraschen, allein die Götter haben anderes beschlossen, u. so muß ich mir denn das Vergnügen eines näheren Verkehrs u. Gedankenaustausches bis auf eine andere gelegenere Zeit (vielleicht Herbstferien?) aufsparen. Einstweilen sende ich Ihnen meine Photographie, damit ich später nicht gar so fremd Ihnen gegenüberstehe.

Gleichzeitig erhalten Sie (durch Freund Gegenbaur) mit vielem Danke u. Entschuldigung des verspäteten Versendens Ihre Lucernaria. Ob es freilich die Ihrige ist, weiß ich nicht ganz bestimmt. Die Etiquette trägt die Bezeichnung Lucernaria auricula, während der Inhalt ganz || entschieden Lucernaria quadricornis ist. Ob die Verwechslung von mir herrührt oder schon bei Ihnen geschah, läßt sich nicht feststellen, doch glaube ich, die 2 Exemplare von Lucernaria auricula, die ich besitze, von Steenstrup empfangen zu haben. Um Sie aber nicht zu kürzen, habe ich einige Exemplare von Lucernaria (Calvadosia) campanulata beigelegt, die mit der Lucernaria quadricornis die Haupttypen dieser merkwürdigen Thiere vertreten. Daß dieselben Medusen sind, will mir noch immer nicht in den Kopf, zumal die Clarkschen Cleistocarpiden einen entschiedenen Polypenmagen tragen, wie ich durch die nachfolgende Skizze andeute.

[Zeichnung]

Sie werden darüber in dem demnächst erscheinenden Jahresbericht (wie in dem vorjährigen) einige Bemerkungen finden. Ich habe über den Bau der Lucernaria eine ziemlich umfangreiche Untersuchung gemacht, werde aber in der nächsten Zeit kaum zur Veröffentlichung derselben kommen, da ich durch ein Helminthenwerk allzu sehr in Anspruch genommen bin. Die Mittheilungen der Göttinger Societät (April) enthalten einige vorläufige Notizena über eine Nematodenuntersuchung, die ich um so || mehr Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen kann, als sie uns gleichfalls ein Beispiel eines Generationswechsels mit zweierlei Geschlechtsthieren kennen lassen. Es ist die Ascaris nigrovenosa, um die es sich hier handelt. Sie können die Experimente sehr leicht wiederholen, da jetzt jeder braune Frosch die Embryonen dieses Thiers im Mastdarm trägt u. die Umwandlung in geschlechtlich entwickelte Thiere gegenwärtig schon nach zwei Mal 24 Stunden vollendet ist. Übrigens bietet er am Ende auch schon die Lebensgeschichte wie Chermes eine Wechselfolge zweier verschiedener verschiedenstlich entwickelter Generationen.

Leider war es mir und Claus während unsres Aufenthaltes in Nizza nicht möglich, Ihre Beobachtungen über Cunina-Geryonia zu bestätigen. Das Meer war äußerst unruhig, so daß wir von Cuninen nur die Cunina moneta, von Geryonien Nichts zu sehen bekamen. Überhaupt ist unsre Ausbeute so ziemlich = 0.

Die Prolification der Geryonie scheint übrigens außer Krohn auch schon Fritz Müller beobachtet zu haben, wie ich das auch in meinen Jahresberichten hervorgehoben. Die beigegebene Zeichnung, so wie die Angabe, daß die aus dem Munde hervorhängende Traube || „geschluckt“ sei, läßt sogar vermuthen, daß dem letzten die Unterschiede zwischen den Sprößlingen u. der Geryonia nicht unbekannt geblieben seien.

Von den verlangten Doubletten besitze ich nur Aequorea u. Zoanthus in je einem Exemplar, so daß ich natürlich außer Stande bin, Ihre Bitte zu erfüllen. Unter Ihren Desideraten steht auch Minyas, eine Form, die meines Wissens seit Cuvier nicht wieder beobachtet ist. Ich habe über dieses Thier meine besondren Ansichten, die darauf hinausgehen, daß es eine umgekrämpelte Actinie war, die zu der Aufstellung derselben veranlasste.

Meine Siphonophoren werden, wenn Sie dieselben ansähen, wohl kaum den Erwartungen entsprechen, die Sie von ihnen zu haben scheinen. Übrigens befinden sie sich in That in dem Liquor conservativus, dessen Rezept Max Schultze einst von mir erhalten hat. Medusen u. Ctenophoren müssen übrigens nach meinen Erfahrungen, wenn sie gut bleiben sollen, sehr bald aus dieser Flüssigkeit entfernt u. in ganz schwachem Spiritus suspendirt werden.

Mit den freundlichsten Grüßen

Ihr

ergebener College

Rud. Leuckart.

a korr. aus: Mittheilungen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.05.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27706
ID
27706