Lang, Arnold

Arnold Lang an Ernst Haeckel, Zürich, 15. Juni 1903

ZOOLOGISCH-VERGL. ANATOMISCHES LABORATORIUM

BEIDER HOCHSCHULEN
ZÜRICH.

den 15ten Juni 1903

Verehrter Lehrer und Freund!

Haben Sie vielen Dank für die liebenswürdige Zusendung der neuen, prächtigen Lieferung Ihrer „Kunstformen der Natur“. Es ist jeweilen ein freudiges Ereigniss, das hohen künstlerischen Genuss verschafft, wenn eine neue Abtheilung erscheint. Ich werde nächstens bei Gelegenheit eines Vortrages eine Anzahl der prächtigen Bilder vorführen.

Von meinem lieben Jena bin ich in letzter Zeit ohne Nachrichten. Hoffentlich werden wir diesen Sommer die || Freude Ihres Besuches erleben und dann werden Sie uns einen ausführlichen Generalrapport erstatten. Von dem schrecklichen Tode des jungen Fräulein Dalmer haben wir erfahren.

Wir durchleben etwas schwere Zeiten. Die Mutter meiner Frau ist nach langer und in der letzten Zeit sehr qualvoller Krankheit a vor einigen Wochen gestorben. Meine Frau hat sie wochenlang gepflegt und jede zweite Nacht gewacht, was sie sehr angegriffen hat. Auch meine alte Mutter ist ernstlich leidend; bei ihrem hohen Alter muss ich mich auf alles gefasst machen. Uns selbst geht es gesundheitlich ordentlich, abgesehen davon, dass || ich eine starke Influenza und später eine ordentliche Cholera durchgemacht und dass mein Herz etwas zu degeneriren beginnt. Rosa Lilia ist nun schon einb grosses Mädchen und besucht die Seminarabtheilung der höheren Töchterschule mit Fleiss und Erfolg.

Ich bin durch meine Lehrthätigkeit stetsfort sehr stark in Anspruch genommen und sehne mich einigermassen nach Entlastung. In der Vorlesung habe ich 120 Zuhörer, im Vollpraktikum 18 Praktikanten und im Kursus 36. – Das ist schon etwas zu viel.

Wenn Sie nach Zürich kommen werden Sie sich freuen zu sehen, wie herrlich üppig sich die Vegetation in unserem Garten entwickelt hat. ||

Dass Ihr alter Freund, Herr Fabrikinspektor Schuler gestorben ist, haben Sie wohl schon erfahren. Die Trauer um ihn ist allgemein. Er war einer der letzten Eidgenossen.

Darf ich Sie bitten, mich bei dem illustren Referirabend in Erinnerung zu bringen. Durch den Weggang Bardelebens ist im wissenschaftlichen Geiste desselben wohl kaum eine fühlbare Lücke entstanden. Ist Herr Schulze von seiner Reise zurück? Wie geht es dem Ritter-Professor No 3. No. 1. Denkt stetsfort mit den angenehmsten Gefühlen an die Jenenser Studien- und Docentenzeiten zurück.

Empfangen Sie, verehrter Lehrer und Freund, die herzlichsten Grüsse von Ihrem allezeit getreuen

Arnold Lang.

Auch meine Familie lässt recht herzlich grüssen!

a gestr.: g; b korr. aus: eine

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.06.1903
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27196
ID
27196