Arnold Lang an Ernst Haeckel, Zürich, 24. Mai 1891
Zürich 24. Mai 1891.
Entschuldigen Sie verehrter und lieber Lehrer und Freund wenn ich auf die freundlichen Grüsse von der Schweizerhöhe und auf Ihre liebenswürdigen Zeilen nicht sofort geantwortet habe. Ich war während der Pfingstferien als Delegirter der Universität Lausanne bei Anlass der Stiftungsfeier der dortigen Universität. Meine zahlreichen Vorlesungen, das Lehrbuch, die Redaktion der Festschrift, welche unsere Universität zu Ehren des 50jährigen Doctorjubilaeums Köllikers herausgiebt und die Direktion des Museums und des || Laboratoriums machen mich jetzt zu einem vielgeplagten und gehetzten Manne!
Ich will aber nicht länger säumen Ihnen ein kleines Lebenszeichen zu schicken. Ihr alter Ritter-Professor stellt sich Ihnen in effigie vor mit seiner ältern Tochter, welche die Ehre Ihrer Pathenschaft besitzt. Sie sehen dass Ihr Schüler und Ihr Pathenkindchen schon kräftig sind und dasselbe gilt für Frau Mathilde und die Jüngste, Marietta, die ich freilich bis jetzt nur mit Lupenvergösserung betrachtet habe.
Meine Frau wird Freund Stahl || bitten, das verantwortungsschwere Amt eines Pathen dieser jungen Dame zu übernehmen. Wir hoffen, mit der Zeit, alle Mitglieder des unvergesslichen Referirabends als Gevatter begrüssen zu können!!!
Ich sende Ihnen den bedauerlichen Brief von Driesch zurück. Ich habe letzthin Gelegenheit gehabt, ihn darüber zu interpelliren und ihm meine Meinung zu sagen. Er sagt, er hätte Briefe aus Jena erhalten, die ihm mitgetheilt hätten, Sie hielten ihn für mit Grössenwahnsinn behaftet etc. etc.; die betreffende Abhandlung enthalte aber sagt Driescha nichts, wodurch Sie sich hätten beleidigt fühlen können, sie enthalte seine Ueberzeugungen, die er aussprechen müsse u.s.w. ||
Ihr Hohn und die Aeusserung über Grössenwahn hätten ihn dermassen affizirt, dass er den betreffenden (unglaublichen) Brief geschrieben habe.
Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht zu sehr aufregen, vielmehr Driesch seine Wege gehen lassen. Sie können ja ruhig abwarten, wie weit er es mit seiner mathematischen Methode bringt!
Wir werden wahrscheinlich – mit Kind und Kegel – den grösseren Theil der Herbstferien in den Appenzeller Bergen (in Gais) zubringen, wo ich stramm an der Fortsetzung der vergl. Anatomie arbeiten werde. Unnöthig, Ihnen zu sagen, wie riesig die Freude sein würde, Sie bei uns zu sehen. Wir haben uns von der vorjährigen Enttäuschung noch nicht ganz erholt. Ich sah letzthin Schuler, der ebenfalls hofft, Sie zu sehen.
Ich verbleibe, mit den herzlichsten Grüssen Ihr alter treuer, dankbarer Ritter-Professor
A. Lang
Unsere besten Empfehlungen an Ihre verehrte Familie, an den hochwohllöblichen Referirabend und an alle Freude im lieben Jena.b
a mit Einfügungszeichen eingef.: sagt Driesch; b Text weiter auf S. 4: Unsere … Jena.