Lang, Arnold

Arnold Lang an Ernst Haeckel, Bern, 19. Juni 1877

Hochgeehrter Herr Professor!

Ich denke, Sie sind schon seit längerer Zeit von den griechischen Inseln zurückgekehrt und hoffe, Sie haben dort Alles in ausgiebiger Weise gefunden, was Sie sich von Ihrem Aufenthalt versprochen hatten. Erlauben Sie mir, ein kleines Lebenszeichen von mir zu geben. Meine Arbeit über die Entwickelung von Lepas habe zu Ende geführt. Ich bin dabei in Bezug auf die Genese des sog. Stieles zu ganz abweichenden Resultaten gelangt. Nach den Bildern, die mir das Microscop von sehr zahlreichen Uebergangsstadien der Cyprislarve in das ausgebildete Thier zeigt, kann ich nicht annehmen, dass der Stiel eina Auswuchs des Kopfes der Cyprislarve ist, ich finde vielmehr, dass derselbe, in kurzen Worten gesagt, eine Bildung des vorderen Theiles der Schalenhaut der Cyprislarve ist. ||

Ich habe meine Arbeit der hiesigen naturforschenden Gesellschaft ausführlich dargelegt, Prof. Studer hielt aber alles für falsch; indem er hauptsächlich auf die Lage des Eierstockes im ausgebildeten Thier hinwies. Ich möchte die Arbeit indess gerne veröffentlichen, getraue mich aber vor Untersuchung weiteren, womöglich lebenden Materials nicht.

Die Arbeit über die Gazelle-Rhizopoden auf die ich mich so sehr gefreut hatte, werde höchst wahrscheinlich nicht bekommen. Prof. Studer speist mich nun mit leeren Ausflüchten ab.

Aus dem Museum, wo ich früher bei Studer gearbeitet habe, hat man mich ebenfalls mit Geschick entfernt.

Ich komme zu der Ueberzeugung dass ein längeres Verweilen in Bern auf keinen grünen Zweig führt. Prof. Studer ist Burger, sein Vater ist Professor, sein Onkel war Professor, seine b übrigen Verwandten sind einflussreichste Leute der Stadt, die || ihn gewappnet umgeben. So finde ich nirgends Entgegenkommen. In Anbetracht des hiesigen Brodstudiums und der Regelung der Vorlesungen durch die Facultät ist ferner dafür gesorgt, dass ich keine Vorlesungen abhalten kann, die von Studenten besucht werden.

Ich werde mich also anderswo umsehen. Am allerliebsten käme ich nach Jena, wenn dort nicht schon Privatdocenten genug wären. Nächstes Jahr gedenke ich jedenfalls wieder an’s Meer zu gehen und werde bemüht sein, mich womöglich ein wenig an einen geneigten Forscher anzuschließen. Verzeihen Sie mir, hochgeehrter Herr Professor, meine Jeremiade. Wenn man zwei Jahre bei Haeckel in Jena gewesen ist, so kann man an anderen Orten nicht umhin, sich beständig an die dortigen Verhältnisse zu erinnern und des Mannes zu gedenken, der im wahren Sinne des Wortes bei seinen Schülern Vaterstelle vertritt. ||

Mit Spannung sehe ich Ihrer Arbeit über „Eozoon“ im Kosmos entgegen.

In alter vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener

Arnold Lang.

Bern 19 Juni 1877

a korr. aus: eine; b gestr.: Ueb

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.06.1877
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27135
ID
27135