May, Walther

Walther May an Ernst Haeckel, San Sebastian, Gomera, 25. Januar 1908

San Sebastian, Gomera.

25. Januar 1908.

Hochgeehrter Herr Geh. Rat!

Von der kanarischen Insel Gomera sende ich Ihnen meinen Gruß und Glückwunsch zum 74. Geburtstag.

Ich bin seit zwei Monaten hier auf diesem weltentlegenen Eiland, wo ich mir ein kleines Haus gemietet und ein kleines Laboratorium eingerichtet habe. Ich denke noch bis zum 14. Märza hier zu bleiben und dann über Teneriffa nach Hause zurückzukehren. In dem so gepriesenen Orotava bin ich bis jetzt noch nicht gewesen, ich gedenke || auf der Rückreise einen kleinen Abstecher dorthin zu machen. Nach allem was ich hörte ist dort schon alles sehr „zivilisiert“, was nicht nach meinem Geschmack ist, ich habe mir daher das wilde Felsennest Gomera zu längerm Aufenthalt gewählt. Auch meine Schwester ist seit 14 Tagen hier, nachdem sie vorher längere Zeit in La Cruz de Tenerife war. Sie zeichnet und malt, während ich Tiere, Pflanzen und Steine sammle. Die Verhältnisse sind hier natürlich b außerordentlich primitiv, aber Sie kennen das ja und die großartige Natur entschädigt reichlich für das, was man entbehrt. Lästig ist die beispiellose Neugier der Einwohner, ich mußte dabei an das denken, was Sie in Ihren Indischen Reisebriefen so anschaulich von den Singhalesen erzählen. Besonders ist natürlich meine Schwester || Gegenstand des Interesses. Seit Menschengedenken ist hier nur ein einziges mal eine deutsche Dame gewesen, auch eine Malerin, und von der behaupteten die Leute in Teneriffac, sie sei etwas verrückt gewesen. Von mir glauben die hiesigen Bewohner, ich sei gekommen, um vergrabene Schätze in den Höhlen zu suchen!

Ich bedaure sehr, daß ich Ihnen meine Darstellung Ihres Lebens und Schaffens auch auf diesen Geburtstagstisch noch nicht legen kann. Herr Köhler scheint ein recht unzuverlässiger Herr zu sein. Nachdem ich wochenlang keine Antwort von ihm erhalten, erbat ich mir mein Manuskript zurück, bekam es aber nicht. Endlich schrieb er mir, daß er die Schrift im Oktober dieses Jahres herausgeben wolle. Ob er Wort hält? ||

Von Ihnen und Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit habe ich natürlich jetzt lange nichts gehört, da ich hier keine Zeitungen lese. Der hiesige Arzt besitzt die spanische Übersetzung Ihrer natürlichen Schöpfungsgeschichte; also selbst bis in diese Einöde sind Ihre Schriften gedrungen.

In der Hoffnung, daß Sie auch ferner hin in ungeschwächter Arbeitskraft weiter wirken bin ich mit den besten Empfehlungen und Glückwünschen, auch von meiner Schwester,

Ihr

dankbarer Schüler

W. May.

a gestr. Februar; eingef.: März; b gestr.: hier; c eingef.: in Teneriffa

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
25.01.1908
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 26461
ID
26461