Eggeling, Heinrich von

Heinrich von Eggeling an Ernst Haeckel, Jena, 9. September 1899

Jena 9/ IX 99

Lieber hochverehrter Freund!

Für Ihren freundlichen Gruß von der Riviera meinen besten Dank! Ich freue mich sehr der guten Nachrichten über Ihr Befinden und wünsche von Herzen, daß Sie an Corsika’s Gestade noch recht erquickliche Tage verleben mögen, unbehelligt durch Banditen, Krankheiten und anderes Ungemach! –

Unser Aufenthalt in Schierke ließ wenig zu wünschen übrig. So ein Waldnarr, wie ich nun einmal bin, konnte – zumal das Wetter fast immer || herrlich war – in den endlos ausgedehnten wundervollen Wäldern so recht seiner Passion leben. Meiner Frau bekam die Luft, obwohl so wunderbar erfrischend, anfangs nicht recht und nachher verlor sie einige Tage in Folge eines bösen Zahngeschwürs. Um das Versäumte nachzuholen, ließ sie mich und Heinrich, der auf 1 ½ Wochen zu uns gekommen war, am 2ten allein heimreisen. Sie wird morgen nach Braunschweig fahren und am 13/14 hierher zurückkehren. –

Der rege Fremdenverkehr in Schierke wirkt zuweilen etwas störend, birgt aber auch manche Freude. Unter den || vielen Verwandten und Bekannten und Freunden, die wir trafen, erfreute uns ganz besonders das unerwartete Zusammentreffen mit Ihren Leipziger Kindern, die nach starkem Marsche zu unserem Glück in unserem Hotel eingekehrt waren; wir verplauderten den Abend sehr angenehm mit ihnen. Ihr Herr Schwiegersohn ist Ihnen gleich bezüglich der Reiselust; er will ja jetzt noch das Atlas-Gebiet besuchen und scheint Größeres zu planen.

Hier ist Alles sehr still. Ein höchst unerquicklicher und unnöthiger Streit hat sich in den Jenaer Blättern zwischen Oberbürgermeister Singer und Professor Abbe entsponnen. Es handelt sich um die Lesehalle, über die Singer sich auf dem Greizer || Städtetage abfällig geäußert und insbesondere beklagt hatte, daß die Aufsicht führende Staatsbehörde die Bewilligung von Mitteln aus der Carl-Zeiß-Stiftung nicht abgelehnt hatte. Abbe will nun Singer verklagen, um gerichtlich feststellen zu lassen, ob nach dem Statute die Staatsbehörde überhaupt zur Ablehnung berechtigt gewesen wäre. Mir ist zweifelhaft, ob die Gerichte sich auf die Klage einlassen und eine Interpretation des Statutes geben werden. Angenehm sind diese Verhandlungen keinesfalls. Der Ton in der Polemik war nicht schön. Sie ruht jetzt zwischen den Beiden; aber Krethi und Plethi klappert noch nach in den Zeitungen. –

Ich muß an die Arbeit. Deshalb Schluß und nur noch viel herzlichste Grüße!

In Treue

Ihr

Eggeling

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
09.09.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2627
ID
2627