Mulder, Lodewijk

Lodewyk Mulder an Ernst Haeckel, Breda, 25. Oktober 1857

Breda, 25 October 1857.

Mein lieber Ernst!

Wenn ich blos einen Silbergroschen bekäme für jeden Buchstabe, die ich nicht geschrieben habe, dann wäre ich bald reich. Etwas gehört aber noch zu diese Erklärung, nämlich ich meine, Buchstaben, die ich hätte schreiben sollen und habe es nicht gethan. Und dann gehört dazu einen langen Brief an Dir, der mir bis jetzt noch immer in die Feder ist hangen geblieben. Nun aber wird wenigstens etwas davon heraus kommen, und anfangs hatte ich die Absicht Dir auf einen Bogen mit schwarzen Ränder zu schreiben, um damit die Schwere meiner Beschämung, meiner Reue usw. auszudrücken, daß ich Dich solange habe warten lassen, Dich mit dem ich mich so herzlich gern unterhalte, Dich, der so viel Papier, Federn und Dinte werth bist, Dich, dem ich die Erhaltung der Erhaltung der Kräfte danke, Dich der u. s. w. das weitere füge selbst hinzu.

Wie Du siehst habe ich unsren Freund Helmholz richtig bekommen und danke Dir sehr für Deine Besorgung. Ich habe es wieder gelesen und auch mehreres in derselben Sinn über welches ich recht gern mit Dir ein || Bisken plaudern möchte. Vor vierzehn a Tage habe ich hier in der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft eine Vorlesung gehalten, wo ich mich über ein sehr zahlreiches PT Publikum zu erfreuen gehabt habe, die mit offenen Mäule meine Gelahrtheit anhörten. Anfangs meinte ich Helmholz’s Thema à faire zu nehmen, aber davon habe ich abgesehn, auch blos die Kleinigkeit bewiesen, daß alle Naturkräfte nur Aeußerungen einer selben Grundkraft sind. Wenn Du Holländisch lesen könntest würde ich Dir ein Abschrift von dieser merkwürdigen Vorlesung schicken. –

Und wie gehts mit Deinen Krebse? Mit Sehnsucht erwarte ich Dein Buch. Ist es Dir angenehm, dann werde ich versuchen, es in das beste unsrer naturwissenschaftlichen Zeitschriften analysiren und empfehlen zu lassen, damit Dein Ruhm hier in Holland schon etwas verbreitet wird ehe Du selbst hierhin kommst. In diesem Falle bitte ich Dir mir statt eins, zwei Exemplare zu schicken, damit ich den besten Brauch davon machen kann um diesen Zweck zu erreichen.

Ehe ich es vergesse. Schreib mir || einmal, welche Wasserpflanze das ist, die ich im Zellersee gefunden habe. – Es sind kugelformige dunkelgrüne Moose, welche blos da, und vielleicht noch in einem See irgendwo in Böhmen oder in Sachsen an den böhmischen Grenzen wachsen, sonst nirgends in der ganzen Welt. Ich habe ein Dutzend davon im Koffer mitgenommen; leider kann ich sie Dir nicht genauer beschreiben sie wachsen in großer Menge auf den Boden des Meeres. Der Schiffer nannte sie Seekigele oder wenigstens eine Name, welche ungefähr so lautete. Du wirst es wohl wissen.

Was haben wir uns in München ergötzt an allen Kunstschätzen! Das ist ein Museum, diese Stadt! Die Sammlung Versteinerungen ist sehr reich. Welch eine Menge Pterodaktylen, Plesiosauren und Ichtyosauren, oder wie die Kerle alle heißen! Der Aufseher sah mich bald für ein tiefsinniger Naturforscher an, was mir sehr angenehm war, da er uns endlich selbst in sein Sanctum Sanctorum einführte, wo er die Versteinerungen ausarbeitete und mir einen vollständiger Plesiosaurus anbot für 32 Thaler – Spottpreis.

Bist Du in Bonn gewesen, beim || naturwissenschaftlichen Verein? Wie hast Du denn Philipp Bleek gefunden? Mir schien er sehr, sehr krank, und ich fürchtete das schlimmste. Sehr verlange ich etwas von ihm zu hören.

Was anbelangt unser verfehltes Zusammentreffen in Bad Gastein, das freilich sehr leid gethan aber schon am ersten Tage fürchteten wir, das Ihr nicht zeitig genug würdet da sein können, weil wir hörten, daß die Wege im Gebirge so sehr schlecht geworden waren vom Regen. Euer Brief haben wir in München richtig bekommen das war uns eine große Ueberraschung, denn zufällig ging ich am letzten Abend vor unsrer Abreise noch nach der Post um zu sehn ob vielleicht Briefe aus Holland da waren. Von Carl’s gräßlich-abscheulichen Buchstaben (das heißt für mich Holländer) habe ich aber leider nur die Hälfte damals entziffern können. Später ging es etwas besser, aber die Route, die Ihr gefolgt, konnte ich unmöglich ausfindig machen, denn obgleich ich das übrige so ziemlich errathen konnte, blieben mir die Eigennahmen der Orte u. s. w. total hieroglyphisch – und das sind sie jetzt noch, wenn ich sie auch mit || einem Mikroskope untersuchen wollte. – Vorigen Woche ist von hier abgereist ein meiner Freunde ein Hauptmann Kempees, der eine wissenschaftliche Reise (militärisch) durch Deutschland machen will, da er militär Werkstätten in Soera baja auf dem Insel Java errichten muß. Er wird – wahrscheinlich erst nach einigen Monaten auch Berlin besuchen. Ich habe ihm einen Brief mitgegeben für den Obersten v. Fransecky und auch ein Schreiben für Dich. Wenn Du Zeit hast ihn einen Tag in Berlin herumzuführen, so thue es – wenn Du keine Zeit oder Lust dazu hast, bist Du nun gewarnt und kannst Deine Maßregel danach nehmen. Er wird Dir aber wohl gefallen, und kann Dir gewiß vieles von Ost Indien erzählen wo er schon 10 oder 12 Jahre gewesen ist – ich war drei Jahr Kadet mit ihm – er ist zwei Jahr jünger wie ich und beinah Major. Da in Indien geht es rascher als bei uns! – Nun muß ich schließen. Schreib uns bald wie es Dir und allen geht. Grüßt Carl und Deine Aeltern recht herzlich von uns beiden. Wie steht’s mit dem Examen?

Dein treuer Vetter

L Mulder.

Zweimalhunderttausend Grüße von Gonne.b

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
25.10.1857
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 24687
ID
24687