Overzier, Ludwig

Ludwig Overzier an Ernst Haeckel, Köln, 12. September 1876

Herrn Professor Dr Häckel

Jena.

Köln den 12 September 1876

Benesisstr

Hochverehrter Herr Professor!

Mit lebhaftem Bedauern habe ich sowohl durch Ihre eigene freundliche Mittheilung wie auch von Herrn Justizrath Fay vernommen, daß uns diesen Winter nicht die Ehre Ihres Besuches zu Theil wird; mit umso sicherer Hoffnung & größere Freude werde ich deshalb nächstes Jahr Ihrer Herkunft entgegensehen.

Für die Zusendung der Perigenesis und die Karte zur Einführung bei Herrn Geheimrath Dr. Leydig will ich nicht unterlassen, meinen Dank auszusprechen. Die Perigenesis habe ich gleich am Tage des Eintreffens aufmerksam durchgelesen, habe mich zwar durch dieselbe in Betreff der Erklärung der Vererbungsvorgänge nicht befriedigt fühlen können, Sie aber auch zu sehr verehrt, um Sie durch Mittheilung meiner Bedenken aufzuhalten. Das Schwierigste scheint mir dadurch nur weiter verschoben, aber durchaus nicht gehoben.

Bei Herrn Prof. Dr. Leydig habe ich mich auf Ihre Empfehlung mündlich berufen; die Karte erhielt ich erst später. Wie ich aber die Sachlage überschaue, ist in Bonn selbst an der geheiligten Stätte vergleichenda anatomischer Forschung gar keine Aussicht, die Principien auf denen der Darwinismus fußt, auch nur versuchsweise objectiv discutirt zu sehen. Das Urtheil steht hier fest, daß man nach 20 Jahren über die ganze jetzige Darwinistische Bewegung den Stab brechen wird und die Hirngespinste gewisser Popularitätshascher belächeln wird. Mehr darf oder möchte ichb nicht sagen.

Ich vermeide daher auch sorgfältig, in Bonnc auf descendenz-theoretische Probleme einzugehen und suche aus den praktischen Weisungen, die mir in entgegenkommeder Weised zu Theil worden, möglichst Nutzen zu ziehen. Ich glaube Ihnen dies vertraulich mittheilen zu sollen.

Ich habe mir zur Aufgabe gestellt, die anatomischen Verhältnisse der Würmer vergleichend zu untersuchen, ihre Embryologie möglichst kennen zu lernen und daraus vielleicht auf die mechanischen Ursachen zu schließen, welche 1) der Vererbung & 2) der Anpassung oder bessere umgekehrt zu Grunde liegen müssen. Ob mir dies gelingt, ist eine andere Frage. Besteht für die thierischen Formen nicht ein derartiger || Kausul-Nexus, dann fühwahr sollte man die ganze vergleichende Anatomie einstellen; sie wäre dann höchstens ein Mittel zur Befriedigung nutzloser Neugier.

Mehr wie in Bonn glaube ich in Köln leisten zu können. Die Paschas der Wissenschaft können es zwar, mit wenigen rühmlichen Ausnahmen, nicht verwinden, wenn namentlich die Naturwissenschaften sich in populärer, allgemein verständlicher Form an alle Gebildeten wenden. Damit ist die Kernweisheit ihres geheimnißvollen Zaubers entkleidet, während doch gerade durch diese Popularisirung neue Kräfte geweckt und der Sinn für die naturwissenschaftliche Forschung angeregt wird. Eine derartige, weitreichende Stütze für Naturwissenschaftliches Sinnen & Trachten möchte ich in Köln schaffen und ich glaube, daß bei etwas Muth und Selbstvertrauen der Erfolg für die Richtigkeit des Projekts sprechen wird.

Ehe ich jedoch an die Ausführung gehe, möchte ich gern Ihr geschätztes Urtheil hören. Das Projekt, für welches auch Herr Dr Klein & andere Herren eintreten würden, läuft darauf hinaus, in Köln ein „Naturwissenschaftliches Institut“ zu gründen, welches der außerordentlich großen Zahl derjenigen, welche sich für die Naturwissenschaftlichen Forschungen, Methoden, Apparate, Instrumente, Modelle, Zeichnungen etc interessiren, durch die Ermöglichung der direkten Anschauung ebensolche Unterhaltung wie Belehrung zu bieten. Das Unternehmen würde somit auf der breiten Unterlage des allgemeinsten Interesses f aller Gebildeten basiren. Das Institut soll a) eine möglichst reichhaltige Sammlung von Instrumenten, Präparaten, Apparaten, Modellen, Zeichnungen u. dergleichen systematisch geordnet in seinen Räumen bergen. b) die Handhabung & Wirkungsweise der Apparate zur Anschauung bringen c) durch genannte Ausstellung das Neueste auf allen Gebieten des Naturwissenschaftlichen & Wissenschaftlichen Technik vorführen. Es soll gleichzeitig von dem Institut aus die tägliche Zeit normirt werden und eine meteorologische Station daselbst sein. Ich würde schon dafür sorgen, daß auf mineralogisch-geologisch-paläontologischem Gebiete so wie auf dem Gebiete, sowie auf den Gebieten der Mikroscopischen & Makroscopischen Anatomie & Physiologie der Thiere & Pflanzen, in Anthropologie & Ethnologie Interessantes & Anregendes vorliegt. Wie das Museum der Hebung des künstlerischen Geschmackes, das Conservatorium zur Entwickelung des musikalischen Sinns in unserer Stadt mächtig beitragen, so soll das Naturwissenschaftliche Institut || für die Förderung des Sinn’s für Naturwissenschaftliche Forschung & Betrachtung dienen. Ein solches Institut selbst in Köln, wie in manch’ anderen Großstädten. Ich halte es für ein Leichtes, durch Sammlungen & Zeichnung von Antheilscheinen hier die Fonds zum Ankauf resp. Bau eines derartigen Gebäudes aufzutreiben und glaube, daß damit für die Emancipirung der Naturwissenschaften sehr viel gewonnen wäre. Ich kenne eine große Anzahl einflußreicher Personen, welche dieses Projekt mit Liebe erfassen würden. Ich lege jedoch auf Ihren wohlwollenden Rath großen Werth und würde daher, erst nach Eintreffen desselben in geeigneter Weise vorgehen.

Mit der größten Hochachtung & Verehrung

Dr. Ludwig Overzier.

a eingef.: vergleichend; b eingef.: oder möchte ich; c eingef.: in Bonn; d eingef.: in entgegenkommender Weise; e eingef.: besser; f gestr.: as;

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
12.09.1876
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 23857
ID
23857