Josepha Kraigher-Porges an Ernst Haeckel, [Obermais (Meran), 11. Februar 1911]
Lieber und verehrter Herr Professor!
Jetzt wo Sie in das Patriarchenalter treten, drängt es mich sehr, Ihnen tausendmal und tausendmal dafür zu danken, daß Sie für die ganze Kulturmenschheit ein Segen waren, daß Sie mir Licht und Segen waren.
Seitdem ich, als junge Frau, mit einem ungeheuren Staunen und der tiefsten Erschütterung die Anthropogenie las und wieder las, hat sich mein Weltbild gewaltig verändert. Ich danke Ihnen mit allen Fasern meines Wesens und vergesse all das Große all den || Segen der mir von Ihnen kam keinen Tag.
Als ich Sie dann noch vor Ihrer schönen großen Reise 1900 in Jena sehen und in der damaligen letzten Vorlesung hören durfte, den Amphioxus im Mikroskop angucken und mit Ihnen auf das Dach des Instituts gehen konnte, da war es ein großes nie erlöschendes Erlebnis das ich empfing. Ein großes, unvergleichlich schönes Erlebnis Ihre Persönlichkeit, die fast so auf mich wirkte, daß ich Sie wie einen hohen Jüngling bis heute in meinem dankbaren Erinnern trage. || Selbst Ihr weißes Haar wirkte blütenhaft auf mich. Die Amphioxuse, die Sie mir damals schenkten begleiten mich überall hin und die Beglückung von damals schwingt noch immer in mir und rauscht hoch auf, wenn Sie angegriffen werden.
Ich danke, danke Ihnen, Herr Professor!
Ich bin mittlerweile Witwe geworden und habe mich wieder verheiratet mit General Porges, Carl Hilm, dessen Satanswerk Ihren warmen Beifall fand.
Es ist eine schöne, harmonische Ehe voll innig-feiner Beziehun-||gen und läßt mich zu tiefst erkennen, daß die gleiche Weltanschauung zwischen Ehegatten eine Grundnotwendigkeit für Glück und Schönheit in ihrer Gemeinschaft ist.
Allen Segen Ihnen, alle hoheitvoll ungetrübte Verklärung, alle still-große Herbst- und Lichtabendfreude, lieber, lieber Herr Professor.
In tiefster und reinster Rührung drücke ich im Geiste voll Ehrfurcht meine Lippen auf Ihre Hände die so reich gegeben.
Mein Gatte vereint seine Grüße den meinen.
Fina Porges-Zacharias