Rade, Emil

Emil Rade an Ernst Haeckel, Steinheim/Westfalen, 22. Dezember 1904

Steinheim Westfalen den 22. Dezember 1904.

Hochverehrter Herr Professor!

Verzeihen Sie einem Ihrer begeistertsten Verehrer und Bewunderer, daß er Sie mit einer Bitte belästigt. In dem Hannoverschen Courier war bei Besprechung Ihres neuesten Meisterwerkes die deutsche Verlagshandlung in Stuttgart als Bezugsquelle angegeben. Meine dahin geschickte Bestellkarte kommt nun heute – wie Sie aus der Anlage gütigst ersehen wollen – mit dem Vermerk zurück, daß die betreffende Adresse nicht richtig ist. Da nun hier weit und breit keine Buchhandlung vorhanden ist, die mir Auskunft geben könnte, so muß ich mich schon an Ihre verehrte Person wenden und bitten, mir unter Benutzung der zweiten hier beiliegenden Postkarte mitteilen zu wollen, in welchem Verlag Ihre „Lebenswunder“ erschienen sind. – Zugleich möchte ich mein Andenken bei Ihnen wieder ein klein wenig auffrischen.

Vor 28 Jahren hatte ich mich Ihrer so großartigen Unterstützung bei dem Album für Charles Darwin zu erfreuen; vor etwa 10 Jahren hatte ich Veranlassung, Ihnen meinen herzlichsten Dank auszusprechen für die große Freude, die mir aus dem Studium Ihrer „Schöpfungsgeschichte“ erwachsen war. Jetzt ist seit Jahr und Tag Ihr Werk über die „Welträtsel“ meine tagtägliche || Erbauung, wenn mir auch durch dasselbe ein Lieblingsplan zunichte gemacht worden ist. Ich hatte mich nämlich mein ganzes Leben lang auf das verheißene „jüngste Gericht“ gefreut und wollte bei dieser Gelegenheit unsern Herrgott ‒ ob seiner greulichen Pfuscherarbeit bei Erschaffung des Menschen ‒ vor versammeltem Kriegsvolke so schlecht machen, daß kein Hund mehr ein Stück Brod von ihm genommen hätte.

Damit ist es nun leider nichts mehr; dagegen freue ich mich sehr auf Ihre „Lebenswunder“, und deshalb werden Sie mir auch meine Aufdringlichkeit verzeihen.

Ich werde versuchen, meine heranwachsenden Enkel auf den Lebensweg hinzuleiten, den Sie der sonst so arg betörten Menschheit vorgezeichnet haben. Und ich hoffe noch zu erleben, daß die allergrößte Zahl der gebildeten Menschen mit Stolz und Freudigkeit auf Sie hinblicken und hinweisen wird als auf den heldenmütigen Vorkämpfer der einzig richtigen Weltanschauung, des Monismus.

Gewähren Sie, hochverehrter Herr Professor, auch fernerhin ein wohlgeneigtes Andenken Ihrem

Sie hochverehrenden

Rade

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.12.1904
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 22074
ID
22074