Rade, Emil

Emil Rade an Ernst Haeckel, Münster in Westfalen, 14. April 1876

Münster in Westfalen den 14.ten April 1876.

Hochgeehrter Herr!

Gestatten Sie dem Unterzeichneten, einem rückhaltlosen Verehrer Ihrer Person und Ihres großen Freundes Darwin, einen Vorschlag zu machen, dessen Ausführung nur Ihnen zu neuer Ehre und diesem zur Freude gereichen kann.

Ich glaube, daß es der deutschen Naturforscher und aller der Laien, welche die Lehren Darwin’s ergriffen und begriffen haben, würdig wäre, Jenem, ihrem verehrungswürdigen Führer auf der neugebrochenen Bahn der Erkenntniß, durch Zusendung resp. Widmung irgend einer entsprechenden Gabe, einer Stiftung oder dergleichen, am nächsten Geburtstage des Gefeierten, einen Beweis ihrer Liebe und Verehrung gerade in der jetzigen Zeit des Kampfes zu geben.

Darwin ist es ja doch, dem wir die Lüftung des Vorhanges, hinter dem bisher die Welt in Blindheit gestanden, dem wir den frischen Luftzug verdanken, welche den dunstig gewordenen Weisheitstempel gereinigt; er ja hat die letzten falschen Götzen aus dem Tempel der Natur geschleudert || und einen Altar aufgerichtet, an dem jede reine Seele ihren Schöpfer ohne Namen und Bild freudig verehren kann: Er ja hat alle Geschöpfe der Mutter Erde mit einem Band der Verwandtschaft und der Liebe umschlossen und hat den Mond und die Sonne, und die fernsten Welten des Himmelsraumes in diesen großen Bund gereihet; er hat im Kampf um das Dasein uns den Weg gezeigt, den wir gewandelt haben von den äußersten Fernen des Lebensaufganges her, und den wir zu wandeln haben, um zu erreichen das Ziel alles Gewordenen: die Vollendung!

Der deutschen Anhänger besonders würdig wäre solche Ehrengabe, weil Deutschland vor Allen zeigen muß, daß es ohne Groll Deutschlands größten Forscher von dem großen Britten [!] in den Schatten gestellt sieht; weil Deutschland vor Allen zuerst seinen großen Gedanken erfaßt und – Ihr Verdienst – so fruchtbar gemacht hat; weil Deutschland ihm auch den Funken verdankt, der jetzt zum Kulturkampf ange-||facht, die letzten morschen Stützen mittelalterlicher Schwachheit zerstören wird.

Und wer wäre würdiger, diese Idee in’s Werk zu setzen, als Sie, hochgeehrter Herr, der Sie an der Spitze der deutschen Naturforschung stehen? Haben doch auch Sie die Milch, die Sie zum Heros – und fast zum Märtyrer – der freien Wissenschaft hat wachsen lassen, aus seiner großen Idee gesogen; haben doch alle die Tausende, die mit Jubel oder mit Zagen nach dem von Darwin gebotenen Zauberstabe griffen, mit seiner Hülfe in die Wundertiefen einer verborgenen Welt geschaut, mit seinem Zauber Schätze, ideale und reale Schätze gehoben; habe doch ich selbst, als Laie in der Wissenschaft, durch Darwin die schönsten Stunden vollster Befriedigung genossen und seinen hohen Anregungen jede Arbeit zu verdanken, die mir außer Freuden und Freunden auch klingenden Lohn eingebracht hat.

Wenn Sie, hochgeehrter Herr, auf meinen Gedanken eingehen wollten, wenn ein Aufruf || an die deutschen Anhänger Darwin’s Ihren hochgeachteten und geehrten Namen trüge; er würde überall in deutschen Herzen begeisterten Anklang finden, selbst hier im Finsterlande, wo ich, ein einfältiger Laie, fast allein das Banner Darwins offen und frei hochhalte, würden viel’ heimliche Verehrer des großen Mannes sogar den Muth gewinnen, sich öffentlich zu seinen Anhängern zu bekennen.

In der Hoffnung, wenigstens einen Bescheid Ihrerseits auf meinen so wohl gemeinten Vorschlag zu erhalten, zeichnet mit der Versicherung der tiefsten Verehrung und Ergebenheit

Rade

Rechnungs-Rath der Intendantur des 7ten Armee Korps.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.04.1876
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 22071
ID
22071