Hetzer, Wilhelm

Wilhelm Hetzer an Ernst Haeckel, Halle, 11. März 1855

Halle, am 11. 3. 55.

Theurer Freund!

Da der lange Weber, wie ich eben höre, morgen nach Berlin abreißt, so benutze ich diese unvergleichlich billige Gelegenheit, um Dir von einer Veränderung meines Schicksals Nachricht zu geben, die Deinen Hirnkasten nicht wenig in Bewegung bringen wird. Die Tage, die ich in Halle noch zu verleben habe, sind gezählt!! Noch 10 mal wird Aurora ihre rothen Hände am Himmel zeigen, und es giebt einen lustigen Studenten weniger und einen Philister mehr!! Wehe! Wehe!! Sieh’ ihn Dir noch einmal recht genau an, Du alte Universität, in deren Hallen er so oft im Sommer luftige Kühlung, im Winter Heizung und Licht geschunden hat! Ihr werdet vergeblich auf seiner Stimme Klang lauschen, ihr alten Straßen, in denen er täglich göttlichen Mist der Schafe a verübte. Freut Euch, Ihr melancholischen Laternen, denn dem fernhintreffenden Scheibenzertrümmerer sind die Fittige seiner üppigen Laune mit dem knotigen Seile des edeln Philisteriums gebunden. Weint! Weint, holde Jungfrauen, an deren Fenstern er Sonntag Morgens mit einem weißgewaschnen Hemde und zerrissnen schwarzen Hosen Fensterparade machte! Er kommt nicht wieder! Ihr hört nie mehr das b weltbekannte Klappen seiner Ueberschuhe, die der beißende Witz der Studenten Samojetenkähne getauft hatte. Und nun noch zuletzt, ihr schlappstieflichen, rückenknackigen, knickbeinigen Stockphilister, die ihr ihm so oft seinen holden Morgenschlummer verscheucht habt, tröstet Euch! Exmatrikel und Paß sind schon in seinen Händen!

Macht Eure Rechnung mit dem Himmel –

Fort muß er, seine Uhr ist abgelaufen.

Traurig, schauderhaft, unnatürlich! – aber wahr! Leb’ wohl, theure unvergeßliche Kneipe! Du weißt wohl nicht, was Du heute von mir denken sollst? Du hast mich nie anders, als lustig und fidel gesehen, und heute sitze ich da, stumm und traurig, den Kopf sinnend in die Hand gestützt. Wenn ihr lesen könntet, Ihr Wände; lieber stürztet ihr zusammen, und begrübt mich unter Euren Trümmern, als daß ihr den Schmerz einer ewigen Trennung ertrüget! – Was schaust du mich so traurig an, alter Flausrock! Schrecken für die Knoten, aber auch ein leider nur zu sichres Wahrzeichen für Pudel und Nachtwächter! Morgen kommt der Kleiderjude, || um dich abzuholen. Auch deine Blüthezeit ist vorbei. – Nur ein Trost noch bleibt dem alten Studenten, dessen kurzes Schmetterlingsleben die c nächste Woche endet, Du wirst ihn begleiten, geliebte Pfeife, mit deren Dampf er so oft des Lebens Mühen und Sorgen verblies. Du wirst seine einzige Retterin sein, wenn ihn in der traurigen Einöde des Philisterlebens die trüben Gedanken über so manches verlorne Glück beschleichen, dann wird sich dein duftiger Rauch zu wohlbekannten Schatten gestalten, die ihn lustig wirbelnd umkreisen und noch einmal wird ihm in süßer Erinnerung ein kurzes schönes Leben erblühen. Ich muß wahrhaftig schließen, die Thränen kommen sonst noch. Verzeihe die lange Jeremiade, des Pudels Kern ist dieser: Du kennst meinen Entschluß aus meinem letzten Briefe. Neulich machte ich nun einmal zum Spaß den Etat für das nächste Semester und kam dann zu folgendem nicht sehr erquicklichen Resultate:

Einnahmen: nichts Ausgaben für Essen

Ersparnisse von 6 Semestern: gar nichtsBücher pp. pp. pp. pp. viel Geld

Summa und Moral: Es kann sehr eklich werden.

Halt, dachte ich, alter Junge, wenn die Sache eklich wird, dann – drückst du dich. Also kurz entschlossen. Es wurde gerade ein Hauslehrer (Nichttheolog) gesucht, ich schrieb hin erhielt durch einige Empfehlungen die Stelle und bin d so der wohlbestallte magister dominni, beim Gutsbesitzer Reisert (der Demokrat von 1848) in Helenensruh bei Hameln an der Weser, als welcher ich am 21. März Halle zu verlassen gedenke. (Tempora mutantur, nos et mutamus in illis!) Dae ich bloß 1½ Jungen zu unterrichten habe, so kann ich im nächsten Sommer noch recht fleißig sein und mich zum Examen vorbereiten. Zu Michael will ich ein Paar Tage Urlaub nehmen, hierher reisen, mir die Arbeiten abholen, und mich dann wieder in die Einöde vergraben, um nächstes Ostern das mündliche Examen zu absolviren. Gebe nur Gott, daß mein vortrefflicher natürlicher Instinct und mein beneidenswerthes, unerschütterliches Phlegma diesmal das Rechte getroffen haben. Sobald ich mich erst ein wenig in meiner neuen Stellung befestigt habe, wirst Du von mir weitere Nachricht erhalten. Für jetzt kann ich Dir weiter nichts schreiben, der Kopf schwindelt mir. Lebe wohl auf Nimmerwiedersehen.

Dein

W. Hetzer.

Hauslehrer. ||

[Adresse]

An den stud. med. E. Haeckel | in | Berlin. | p. l.

a unleserlich gemacht; b gestr.: Klappen; c gestr.: morgende; d gestr.: also; e verb. aus: In

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
11.03.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 21565
ID
21565