Rottenburg, Paul von

Paul Rottenburg an Ernst Haeckel, Dalnair, 25. Mai 1913

Dalnair

Drymen

Stirlingshire N. B.

Dalnair 25 Mai 1913.

Liebster Freund

wenngleich ich Dir zwei oder drei Lebenszeichen aus der Schweiz sandte habe ich Dir doch noch nicht für Deinen lieben Brief vom 29/IV gedankt und bitte Dich diese Unterlassungssünde zu verzeihen. Wir reisten, nachdem wir am 30/IV Filius III (den letzten) mit einem sehr netten Mädchen (Schottin) verheirathet hatten am 3/V direct nach Bern trafen dort unsere alten Freunde Koeppern, die Dir vom Pilatus her erinnerlich sein werden – mit ihnen nach Luzern. Koeppern’s den folgenden Tag nach ihrer Besitzung in Wädenswil am Züricher See. Tante Ida und ich 2 Tage später via Fluelen (herrliche Seefahrt) zu Koeppern’s zum Besuch in ihr Bürgli romantisch auf dem Berge mit Extra Haus. Pfingstsonntag per Motorboot nach Zürich und Rapperswil – Pfingstmontag nach dem herrlichen Wallensee – der mir || ganz neu war, denn ich hatte ihn nur schlafend in der Nacht en route nach Pontresina passirt. Dann rief mich ein Brief zu einer Sitzung nach Paris und gestern vor 8 Tagen landete ich wieder in London – Donnerstag Morgen in Glasgow. – Meine Frau fuhr dann von Wädenswil zurück und traf in Vlissingen mit ihrer Schwester zusammen. Diese Schwester (Wittwe) aus Berlin leistet uns jetzt Gesellschaft. – Wetter sehr abwechselnd einen Tag winterlich – nach 24 Stunden Hochsommer. – Hätte ich Dich doch überall mitgehabt und Natur und Kunst gekreuzt. Pariser Theater nach wie vor unerreicht. – Salon Malerei sehr schwach – Natur schön. – In London ging ich zu einem „Bonesetter“ und ließ mir mein linkes Knie einrenken – hoffe es hält an. Ich wünschte ich hätte Heinrich dabei gehabt. Die ganze Sache war || „im Nu“ vorbei und ich konnte mich frei bewegen. 2 Jahre hatte mir das Knie zu schaffen gemacht. Ein Wiesbadener hatte es per Röntgen fotografirt und mir gesagt es würde schlechter werden. Der Londoner versicherte mir er habe 12000-15000 Knie der Art eingerenkt.

In London war ich am Mittwoch Abend bei der „Geographischen“ zum Empfang der überlebenden Mitglieder der Scott Expedition. Zauberhaft schöne Photographien, auch etwas stark effekthaschende „Kinos“. Scott war eben schlecht vorbereitet und traf schlechtes Wetter. Amundsen hätte der Schneesturm nichts angehabt –

König Nikita hat ja ein Vermögen an der Börse verdient ob Skutari; – Patriotismus muß viele Sünden decken. Wenn man doch so alle 10 Jahre einmal einen Blick auf diesen || Europäischen Affenkasten werfen könnte –

Es gährt doch an allen Ecken und Enden und die Schuljugend des 21sten Jahrhunderts thut mir leid all’ diesen Unsinn auswendig lernen zu müssen –

Ich treibe seit einiger Zeit System Müller (Däne) und befinde mich dabei so ziemlich. – Hoffentlich geht es Dir und Schwester Röschen einigermaßen. – Viele herzliche Grüße von Haus zu Haus.

Stets Dein

Paul Rottenburg

Briefe treffen mich stets am sichersten und schnellsten unter Adreße R – Glasgow. –

P.R.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
25.05.1913
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 20168
ID
20168