Rottenburg, Paul von

Paul Rottenburg an Ernst Haeckel, Dalnair, 6. Juli 1913

DALNAIR

DRYMEN

STIRLINGSHIRE N. B.

Dalnair 6 Juli 1913

Liebster Freund!

Besten Dank für Deinen lieben letzten Brief laut welchem es Euch doch passable geht. – Wir haben viel Trauriges erlebt. Am 30 April heirathete Sohn Francis und ging mit seiner jungen Frau per Motor auf die Hochzeitsreise nach Cornwall. Kurz darauf wurde sein sehr reizender Schwiegervater krank – ging schließlich in ein Heim ließ sich dort operiren aber nur um herauszufinden, daß die schreckliche Krankheit Magenkrebs so weit um sich gegriffen hatte das Nichts mehr zu machen war. Gottlob hat er nicht allzu lange gelitten – vor 10 Tagen haben wir ihn begraben. Tochter und Schwiegersohn schliefen mehrere Nächte in dem Heim um zur Hand zu sein und das viele Abschiednehmen hat die arme junge Frau doch sehr angegriffen; sie sind jetzt bei uns zu Besuch. –

Der Vater war 10 Jahre jünger als ich und starb wie ein Held. – Tags zuvor begruben wir einen alten Bekannten dem sein Vater eines der ersten Geschäfte und mehr als 1 Million || £ Stlg. hinterlaßen hatte. Concurrenz und Spekulation haben den Concern zu Fall gebracht und der Betreffende nicht den Muth gehabt seinen Gläubigern zu begegnen – er hatte sich ertränkt. – Das fällt Einem stark auf die Nerven. –

Dazu ein unglaublich schlechter Juni mit ewig bewoelktem Himmel – stellenweise während des Tages so dunkel daß wir Licht brennen mußten. Nach 3 Tagen Sommer ist das Wetter wieder umgeschlagen und ein Feuer bei der Näße erfreulich. – Geschäftlich hört die Aufregung auch nicht auf und es vergeht kaum ein Tag an dem es nicht irgend Wo „einschlägt“. – Und nun last not least – die Zustände auf dem Balkan. – Die armen Kinder die die Geschichte auswendig lernen müßen. Und das nennt sich das christliche Europa welches sich von den Banditen am Narrenseil herumführen läßt. Es geht Einem an die Nerven die Gräuel zu sehen. – Da waren die Türken doch noch die reinen Engel. – Wo wird das enden!? Der || Friede scheint in weitere Ferne gerückt denn je. – Herr Carnegie sollte seinen Friedenspalast im Haag in einen Kinematograph verwandeln. –

Tochter Helen schreibt entzückte Briefe aus Kashmir – schwärmt von der Flora und großartiger Natur. –

Tochter Theresa war zwei Monate in der Schweiz und wird nächster Tage zurück erwartet. – So haben wir zwei Alten hier längere Zeit allein gesessen und ich bin nun mehr denna je darüber klar geworden daß der Kauf von Dalnair die größte Dummheit meines Lebens – die nie wieder gut zu machen ist – denn Besitz ist unverkäuflich. – Seiner Zeit schwärmte mein verstorbener Bruder derartig für Schottland daß ich sicher rechnete er würde uns hier jedes Jahr besuchen! Sag mal Geliebter: Darf ich Dir nicht wieder einmal einen Harris Tweed || Anzug senden. Du hast lange keinen gehabt und die alte Liebe zu dem schottischen Zeug ist hoffentlich nicht erloschen!?

Viele herzliche Grüße von Haus zu Haus

Immer Dein

Alter

Paul Rottenburg

Unter Xband sandte ich Dir Strand Magazine mit Scott’s Beschreibung seiner unglücklichen Südpol Expedition. Hoffentlich interessirt Dich die Lektüre und ich darf Dir die Fortsetzung senden!?

P.R. –

a eingef.: mehr denn

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
06.07.1913
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 20166
ID
20166