Focke, Wilhelm Olbers

Wilhelm Olbers Focke an Ernst Haeckel, Santa Margherita Ligure, 20. April 1907

Santa Margherita Lig.

30. April 07.

Lieber alter Freund!

unsere unvermutete Begegnung in Gandria war so überraschend, dass ich gar nicht einmal auf den Gedanken gekommen bin, Dich zu begleiten, um das Zusammensein wenigstens etwas zu verlängern. Im Winde auf dem schmalen Wege zu stehen, war allerdings nicht rätlich. Am Abend versuchte ich noch einmal, Dich in Pension Müller in Castagnola zu treffen; es war allerdings wohl ein Irrtum, Dich dort zu suchen. – Uebrigens habe ich den Eindruck erhalten, dass Du Dich noch einer ganz befriedigenden Rüstigkeit erfreust; dass wir vor 50 Jahre die Berge leichter und schneller zu ersteigen vermochten, als heutzutage, ist allerdings nicht zu leugnen, || aber es ist eine Erscheinung, die in den gesetzmässigen Entwickelungsgang des individuellen Lebens hineingehört.

In den politischen Blättern war die Mitteilung verbreitet, Du hättest die Absicht, zur Linné-Feier nach Upsala zu gehen. Ich halte Deine Beteiligung an diesem wissenschaftlichen Jubiläum um so mehr für wünschenswert, als Linné mir immer als ein überzeugter Anhänger der Entwickelungslehre erschienen ist, der nur noch nicht den Weg sah, auf dem sich die Umwandlung der Formen vollzogen haben konnte. Möchtest Du nicht den Rückweg von Schweden über Kopenhagen wählen, um Krabbe noch einmal zu besuchen? In diesem Falle würde ich mich gern als Drit-||ter der Zusammenkunft am Sunda anschliessen. Es ist ganz angenehm und anregend, bei einigermassen günstiger Witterung einige Tage in und um Kopenhagen zu verleben; auch findet man gute Gesellschaft dort, u. A. ist der Botaniker Warming ein äusserst liebenswürdiger Begleiter auf Ausflügen.

Hier ist es immer noch kühl, vielfach windig, trübe und selbst regnerisch. Wir wollten heute S. Fruttuoso besuchen, aber der kleine Dampfer fuhr nicht wegen tempo cattivo, obgleich nur ein ganz massiger Wind bei hellem Sonnenschein wehte.

Um den 10. Mal denke ich spätestens wieder zu Hause zu sein. || Die jetzige Vorübung in den Bergen hoffe ich dann für Heidewanderungen in der Heimat verwenden zu können; ich hoffe, dass es in diesem Jahre noch einmal geht, sich teils an der Grenze zwischen Land und Wasser, teils in den abgelegensten Landstrichen des Schwemmlandes zu bewegen.

Da fällt mir ein, dass ich zum 27. Mai die Führung einer amtlichen Untersuchungs-Expedition an die Unterweser übernommen habe. Nach Kopenhagen würde ich daher nur vorher oder nachher kommen können.

Meine Frau und Töchter freuen sich, Dich wenigstens einmal erblickt zu haben. – Hoffentlich fühlst Du Dich von der Reise erfrischt und gekräftigt.

In alter Freundschaft

Dein W. O. Focke.

a korr. aus: Belt

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
30.04.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1887
ID
1887