Focke, Wilhelm Olbers

Wilhelm Olbers Focke an Ernst Haeckel, Bremen, 28. Dezember 1901

Bremen, 28. Dezb.1901.

Lieber Freund!

Zum Schlusse des Jahres möchte ich Dir meinen herzlichen Dank aussprechen für alle freundlichen Zusendungen, die ich von Dir erhalten habe, insbesondere für Kunstformen und Insulinde-Berichte. Du läßt mich an den schönsten Blüten Deiner wissenschaftlichen Arbeiten teilnehmen und auch etwas von Deinen Reisen mitgenießen. Mein Sohn, der in Südchina lebt, war einige Male auf Sumatra und hat mir seine Ausflüge ins || Innere in ähnlicher Weise, wie Du es gethan hast, geschildert.

Ich stehe nun einmal in der praktischen Berufsthätigkeit und muß, wenn Leben und Gesundheit ausreichen, noch 3 Jahre darin ausharren. Freilich, die eigentliche ärztliche Praxis habe ich jetzt vollständig aufgeben können, so daß ich ausschließlich Hygieniker bin. Es gilt aber jetzt zunächst viel Versäumtes nachzuholen und gutzumachen, so daß recht reichlich Arbeit vorhanden ist. Und doch bedarf man in unsern Jahren zwischen der Thätigkeit mehr Ruhe als sonst; man kann die Arbeitszeit nicht mehr so || verlängern wie früher.

Allmers sehe ich sehr selten, höre aber, daß er mehr und mehr von den Schwächen des Alters zu leiden hat. Schade ist es, daß der Versuch, sich einen jugendlichen Gefährten heranzuziehen, nicht gelungen ist, freilich durch Allmers‘ eigene Schuld. Er hat den ursprünglich recht gut veranlagten frischen jungen Mann in so unglaublich thörichter Weise erzogen oder richtiger verzogen, daß derselbe in seiner ganzen Unreife sich für einen der führenden Geister der Zeit hielt und sich in seinem Größenwahn zuerst bei Allmers und dann bei allen andern gebildeten Menschen unmöglich machte.

Deine letzte Reise wird Dir gewiß noch für lange Zeit reichlichen || Arbeitsstoff liefern. Möge Dir für das kommende wie für manche fernere Jahre die Kraft und Frische erhalten bleiben, um die gesammelten Schätze verwerten zu können. Insbesondere hoffe ich, daß sich Deine häuslichen Verhältnisse einigermaßen erfreulich gestalten; davon sind wir schließlich in erster Linie abhängig.

Allen, die sich meiner freundlichst erinnern, einen herzlichen Gruß.

In alter Freundschaft

Dein

W .O. Focke.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
28.12.1901
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1878
ID
1878