Focke, Wilhelm Olbers

Wilhelm Olbers Focke an Ernst Haeckel, Bremen, 14. Juli 1891

Bremen 14 Juli 91.

Mein lieber, alter Freund!

Im Mai d. J. glaubte ich, daß die Krankheit meiner Tochter im wesentlichen überstanden sei, aber der Monat Juni brachte ein neues schweres Leiden, eine Meningitis, die ohne Zweifel mit der vorangegangenen Thrombose in Zusammenhang stand, jedoch ohne daß die Art und Weise des Causalnexus mit einiger Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden konnte. Wenn auch zu Beginn des Juli die unmittelbare schwere Sorge wieder in den Hintergrund getreten war, so mochte ich die Kranke doch noch nicht gern verlassen. Eine meiner Schwestern hat nun meine Tochter Willie || zu Frau Dr. Schnetger nach Jena begleitet. Ich bedaure, daß ich auf das Vergnügen, Dich und die Deinigen wiederzusehen, verzichten mußte, aber ich wäre unterwegs doch zu sehr von Unruhe wegen der Kranken verfolgt worden.

Meine Willie ist sehr gern in Jena und hat uns ausführliche und angeregte Briefe geschrieben. Ihr erster Versuch, Dich zu treffen, war verfehlt, hoffentlich gelingt es ihr später einmal besser. Im vorigen Winter hat sie hier einige Stunden an einem Seminar besucht. Eine ihrer Lehrerinnen, eine würdige Jungfrau und ein großes Licht unter den Blaustrümpfen, muß wohl in einem besonders gespannten Verhältnis zum Darwinismus stehen. Meine Willie kam wenigstens von Zeit zu Zeit mit || einem höchlichst amüsierten Gesichte nach Hause und erzählte dann von irgend einer verrückten Behauptung, die Du angeblich, nach dem klassischen Zeugnisse des besagten Blaustrumpfes, aufgestellt haben solltest.

Meine Tochter ist leider mit keinerlei Talenten ausgestattet, aber sie hat wohl Interessen, und ich hoffe, daß diese in Jena mehr entwickelt und gefördert werden, als es hier möglich war. Lebhaftere ältere und jüngere Geschwister haben sie im Hause etwas zurücktreten lassen, da sie es nicht versteht, sich geltend zu machen. In anderer Umgebung wird sie es vielleicht besser lernen.

Deine Frau scheint ja wohl alles glücklich überstanden zu haben, so daß ich zu ihrer Herstellung von Herzen gratulieren darf. Ein schwerer Druck wird durch || ihre Besserung von Deinera Häuslichkeit genommen sein.

Heute habe ich Freund Allmers flüchtig begrüßen können; ich traf ihn, auf einen Pferdebahnwagen wartend, der nur zu schnell erschien und ihn mir entführte. Wir haben indeß verabredet, daß ich ihn im August einmal in seinem Heim aufsuchen soll.

Die Praxis, Familienangelegenheiten u.s.w., in den letzten Monaten die aufreibenden Krankheitssorgen haben mich von wissenschaftlichen Arbeiten und Studien fast ganz ferngehalten. Ich habe indessen, zuerst wieder seit 6 Jahren, ein kleines Fleckchen Garten unmittelbar beim Hause, so daß ich wieder anfange, allerlei Züchtungsversuche vorzubereiten.

Mit herzlichen Grüßen gedenkt Deiner in alter Freundschaft

Dein W. O. Focke.

a korr. aus: meiner

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
14.07.1891
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1869
ID
1869