Verworn, Max

Max Verworn an Ernst Hackel, Villefranche / sur mer, Laboratoire Russe de Zoologie, 4. Mai 1890

Villefranche / sur mer

Laboratoire Russe de Zoologie

4.5.90.

Sehr geehrter Herr Professor!

Seit einer Woche bin ich glücklich in Villefranche. Die Reise hierher war wunderbar schön. Meine erste Station machte ich in Frankfurt a/M. bei Herrn von Ritter, der mich dringend dorthin eingeladen hatte. Ich fand bei ihm eine so überaus herzliche Aufnahme, dass ich Ihnen besonders noch einmal für meine Empfehlung danken möchte. Im Schwan schlief ich in demselben Zimmer, in dem Sie 8 Wochen vorher gewohnt hatten, und ich hoffe, dass noch ein Theil Ihres Genius || an dem Zimmer haften geblieben und auf mich übergangen sein wird. Hoffentlich zeigen sich bald die Wirkungen.

Die schönsten Punkte meiner Reise waren wohl die oberitalienischen Seen und die Riviera. Am Lago maggiore und Lago di Como könnte ich, glaube ich, mein ganzes Leben verträumen. An jedem schönen Ort, in Pallanza, in Bellaggio etc ergriff mich immer, wenn ich fort musste, ein eigenthümlich wehmüthiges Gefühl, das mir trotz meiner psychologischen Kenntnisse nicht möglich war zu analysieren. War es der Gedanke, dass ich, wohin ich auch kommen würde, mich nirgends wohler fühlen || würde als hier, oder waren es die Gedanken an die Heimath und an die Lieben zu Hause, die nicht mit mir an dieser Schönheit theilnehmen konnten.

Ob die Riviera noch schöner ist als der Lago maggiore kann ich kaum sagen. Das Meer hat wieder seinen alten Reiz auf mich ausgeübt. Wenn ich nichts weiter hätte als das Meer, keine Gebirge, keine Seen, keine Thäler und Flüsse könnte ich mich schon glücklich fühlen. Das Meer bietet mir trotz seiner Einförmigkeit doch die grösste Abwechslung und den grössten Reiz.

Hier in Villefranche habe ich auch eine Wohnung, || deren Flügelthüren sich direkt auf das Meer hin öffnen. Morgens um 6 mache ich mit dem Fischer der Station eine 3stündige Bootfahrt zum Fangen, dann arbeite ich bis 12, nehme mein Déjeuner und arbeite wieder bis 6 Uhr. Seit 2 Tagen habe ich endlich Radiolarienmaterial bekommen und bereits einige Versuche gemacht. Bisher war das Wetter so miserabel, dass sich kein Radiolar blicken liess.

Leider habe ich Niemand, mit dem ich hier verkehren und mich einmal ordentlich aussprechen könnte, da die Station augenblicklich ganz leer ist. Hoffentlich werde ich mit der Zeit Bekannte finden.

Indem ich Sie bitte Herrn Prof. Biedermann, Fürbringer, Müller, Kükenthal und die anderen biologischen Bekannten zu grüssen bleibe ich mit herzlichstem Gruss

Ihr ergebener Schüler

Max Verworn.

Sollten Sie einmal einen Augenblick Zeit haben, so würde ich mich in meiner Einsamkeit ungemein freuen, einmal etwas aus Jena zu hören.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
04.05.1890
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 17378
ID
17378