Franz Eilhard Schulze an Ernst Haeckel, Berlin, 15. Juni 1902
BERLIN N., INVALIDENSTR. 43.
d. 15.VI.02.
Verehrter Herr Kollege!
Als ich vor jetzt bald einem viertel Jahrhundert Ihre eben erschienene „Generelle Morphologie“ eifrig durchstudierte, hatte ich oft die Empfindung: „zu diesen Ideen hat dich ja auch das eigene Nachdenken geführt.“ Doch trat alles viel klarer und präciser vor mich hin. Sie haben es eben verstanden, Vorstellungen und Anschauungen wie sie viele Naturforscher haben, wohlgeordnet und schwungvoll, ich möchte sagen in künstlerischer Weise vollendet auszudrücken. || Denselben Eindruck hatte ich auch jetzt wieder, als ich Ihr schönes Geschenk, die zehnte Auflage der Natürlichen Schöpfungsgeschichte, durchsah und hier oder da einige Seiten las. Einfach und fast selbstverständlich stellen sich die Dinge dar, welche Jahrtausende mystischer Spekulationen verdunkelt und verschleiert haben.
Freilich muß sich jeder seine Erkenntnis selbst erwerben, und das Verständnis wird stets erst durch die eigenen Kenntnisse und Erfahrungen erreicht. || Nun, empfangen Sie meinen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Mit freundlichem Gruße, auch an Kollege Ziegler,
Ihr
hochachtungsvoll ergebener
Freund
Franz Eilhard Schulze