Schultze, Max

Max Schultze an Ernst Haeckel, Bonn, 9. November 1865

Bonn 9 November 1865

Lieber Freund.

Du kannst mit Recht von mir eine ausführlichere Nachricht über mich und mein Unglück erwarten. Verzeih, daß ich sie Dir nicht eher gab. Ich hoffte lange, Dich vor Anfang des Wintersemesters noch hier zu sehen, nun klärt Dein Brief Dein Ausbleiben auf. Hoffentlich hast Du Dich von dem Unwohlsein in Bremen vollständig erholt, das die Ursache der Abänderung Deines Reiseplanes war. Du stürmst wie ich aus eigener Erfahrung weiß, auf Deine Gesundheit manchmal zu sehr ein! a

Was soll ich Dir von den letzten Wochen schreiben! Glückselig und vergnügt lebte ich mit meiner Frau in Ostende. Sie war den Sommer immer gesund gewesen und wer denkt || an einem Orte wie Ostende, wo tausende ihre Gesundheit wiederfinden, an die Möglichkeit ernstlicher Erkrankung. So nahmen wir eine leichte gastrische Affection, die sie befiel, und an der sie Friedreich und ein Ostender Arzt, mit dem ich befreundet war, behandelten, natürlich auch als etwas Unbedeutendes, bis das Fieber sich immer mehr steigerte und die Symptome für einen leichten Typhus auftraten. Aber auch da noch hieß es immer, daß gar keine Gefahr vorhanden sei bis mit einem Male am 12t. Tage ein bedeutender Collapsus die Gefahr enthüllte, aus der sie dann auch nicht mehr zu retten war. –

Du kannst Dir denken was ich an fremdem Orte, ohne Freund – Friedreich war einige Tage vor dem || Tode abgereist, da Alles günstig schien – gelitten, wie meine Heimkehr und dann Alles fürchterlich war. Jetzt sind einige Wochen darüber hingegangen, man scheint äußerlich beruhigt, man muß sich den gewohnten Beschäftigungen wieder hingeben aber die Leere und Oede, die Verbitterung nimmt nur zu.

Ich habe auch wieder mikroskopirt. Bei dem angestrengten Arbeiten vergißt man noch am ersten auf Augenblicke, in welcher Lage man sich nach solchem Verluste befindet. Die Semesterthätigkeit dagegen will mir gar nicht behagen.

Meinen Kindern geht es bis jetzt gut. Ich habe zur Beaufsichtigung derselben und zur Leitung des Hausstandes natürlich Jemand Fremdes ins Haus genommen. Zum 1sten December zieht eine Dame || zu mir, die ich auf die Dauer engagirt habe, dieselbe war bisher in Halle im Hause des verstorbenen Prof. Göschen.

Sage Gegenbaur und Pringsheim in meinem Namen Dank für ihre theilnahmvollen Worte. Ich kann jetzt nicht an sie schreiben. Mir kommt Alles was ich sagen kann so grenzenlos leer vor gegenüber dem was ich verlor, daß man mir nicht zürnen soll. Auch Bernhard10 gruse und sage ihm das ich wohl sei. Kürzlich war ich einige Tage in Halle u. Berlin der Dame wegen, die mein Hauswesen übernehmen soll. Mit Wagener und Lieberkühn verlebte ich einige angenehme Stunden ganz in alter Weise. Sie fühlen die Misere mit Reichert wie wir, lassen sich’s nur nicht so merken. Die Sache hat ziemlich ihren Gipfelpunkt erreicht. Dein Aufsatz thut auch das Seinige. Für diesen und die anderen Schriften, namentlich die herrliche Medusenarbeit, herzlichsten Dank. Nächstens mehr

Dein treuer Max S.b

Berichte mir doch mal von Helgoland. Von Greef habe ich nicht viel herausbekommen. Nur die famose Photographie hat er mir gezeigt.c

a gestr.: ,; b Text weiter am linken Rand von S. 4: Die … S.; c Text weiter am linken Rand von S. 3: Berichte … gezeigt.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.11.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16508
ID
16508