Schultze, Max

Max Schultze an Ernst Haeckel, Bonn, 16. Juli 1860

Bonn 16 Juli 1860.

Lieber Haeckel!

Sie werden schon die Trauerbotschaft von unseres lieben Lachmann’s Tode gehört haben. Am 7ten Juli ist unser Freund nach kurzem Kranksein gestorben – ein trauriges Loos im Vollgenuß jugendlicher Kraft und mit so schönen Gaben ausgerüstet, dabei so überaus glücklich mit Frau und Kindern, scheiden zu müssen! Und wie unendlich traurig für die arme Wittwe! Es ist das Einzige fast was mich seit nun beinahe 14 Tagen beschäftigt. Es stand Lachmann hier Niemand so nahe als ich und der Frau ist die meinige einzige Freundin – so sind wir fortwährend mit der traurigen Angelegenheit beschäftigt. Ich wollte Ihnen schon eher schreiben konnte aber vor aufgehäuften Geschäften nicht dazu kommen; etwas Besonderes gab es aber auch nicht zu melden. Lachmann hatte lange an Furunkeln gelitten, jetzt bekam er || einen solchen auf dem Rücken der, weil wenig schmerzhaft, anfangs wohl vernachlässigt worden, bald in einen Carbunkel überging an dem gar kein Halten war. Nach zweitägigem typhösem Fieber starb er, ohne eine Ahnung von seinem Zustande, von dem bevorstehenden Ende gehabt zu haben, in leichten Delirien. Ich war beim Tode der einzige der zugegen. Die Frau hatte, da Lachmann sie doch nicht mehr kannte, auf unsere Bitten es aufgegeben bei ihm zu sein.

Frau Lachmann wird in einigen Wochen Bonn verlassen, zunächst nach Magdeburg zum Bruder ziehen u. dort ein bevorstehendes Wochenbett abhalten. Ich glaube wenn Sie als Freund ihres Mannes ihr mal schrieben würde sie das sehr angenehm empfinden.

Die Aussichten in die Zukunft sind für die arme Wittwe leider sehr traurig. Zunächst nicht einen Pfennig Wittwenpension oder anderweitige Einnahme. Natürlich ist gleich alles mögliche geschehen, um ihr etwas auszuwirken und || wird das auch hoffentlich helfen. Lachmann war erst für ½ Jahr definitiv angestellt und konnte sich daher noch in keine Wittwenkasse einkaufen. Wer konnte auch an ein so frühes Ende denken!

Doch nun zu Ihrem Briefe der mich sehr erfreute. Daß Ihr Werk einen so guten Anfang u. Fortgang genommen ist ja sehr schön. Gewiß stimme ich Ihnen vollständig bei, daß Sie dasselbe erst vollenden ehe Sie sich in die zeitraubende Lehrthätigkeit stürzen, bei der Ihnen anfangs wenig Muße zu eigenen Arbeiten bleiben wird. Also dächte ich Sie habilitirten sich frühestens zu Ostern. Die Verhältnisse werden in Jena gewiß günstig bleiben, da Gegenbaur nicht leicht einem Anderen das bieten wird wie Ihnen. Daßa Sie Ehrenbergs Diagnosen nicht brauchen können darf Sie nach meiner Ansicht nicht abhalten dieselben zu erwähnen und zu critisiren. Ihr Werk wird die Basis für alle späteren Forschungen auf diesem Gebiete sein und da muß die Literatur vollständig drin zu finden sein. || Das ist in betreff Ehrenbergs umso nothwendiger als dessen Arbeiten so zerstreut und schwer zu finden sind – in den Monatsberichten namentlich. Aus diesem Grunde habe ich auch seine sämmtlichen Polythalamien Gattungsdiagnosen wörtlich abdrucken lassen, damit man sie zusammen hat. Suchen Sie nur in betreff des Organismus die Verwandtschaften mit den übrigen Rhizopoden recht scharf herauszufinden. Ich glaube daß die Analogieen trotz der Verschiedenheiten sehr groß sind. Die Grenze z. B.b zwischen Sarkodemasse und gefärbtem inneren Centraltheil besteht bei den meisten Rhizopoden deutlichc, nur ist keine d trennende Haut wie bei den Radiolarien zwischen beiden Körperabtheilungen. Die sogenannte Kapsel ist alsoe nach meiner Ansicht gar Nichts vollständig neues und unvorbereitetes sondern nur eine schärfere Trennung dessen was bei allen Mono- und Polythalamien mehr [oder] weniger getrennt ist.

Ehrenberg’s verrückten Vortrag über Hyalonema in der Akademie habe ich gelesen. Seien Sie außer Sorge in betreff der von mir ausgesprochenen Behauptung, daß Schwamm und Kieselfadenstrang zusammengehören. Den Beweis habe ich vollständig in Händen. Aber Parasiten sind doch noch dabei. Ich finde Reste von Polypen mit den schönsterhaltenen Nesselorganen in den Poren der Schwämme und dieselben Nesselorgane finde ich jetzt auch in den Polypenartigen Knöpfchen die oft auf den Kieselfadensträngen sitzen, so daß diese also jedenfallsf Polypen sind. Ich lasse jetzt Bilder lithographiren und werde dann eine kleine Arbeit über diesen Gegenstand veröffentlichen. Sonst stecke ichg jetzt ganz in mineralogisch optischen Untersuchungen, von denen Sie nächstens hören werden. Ihr Fräulein Braut erwarten wirh täglich.

Mit besten Grüßen von meiner Frau

Ihr treu ergebener

Max Schultze.i

Den Brief an Krohn habe ich diese Tage an den von einer Reise zurückgekehrten Adressaten gegeben. Für Ihr Anerbieten wegen der Sapphirina Zeichnung danke ich schön. Was ich brauche habe ich an den Präparaten.j

a irrtüml.: Das; b korr. aus: zw c eingef.: deutlich; d eingef.: beide; gestr.: beide; e eingef.: also; f Text weiter am linken Rand von S. 4: Poren … jedenfalls; g Text weiter am linken Rand von S. 3: Polypen … ich; h Text weiter am linken Rand von S. 2: jetzt … wir; i Text weiter am linken Rand von S. 1: linken … Max Schultze.; j Text weiter am oberen Rand von S. 1: Den … Präparaten.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.07.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16489
ID
16489