August Weismann an Ernst Haeckel, Freiburg, 27. Dezember 1875
Freiburg i. Br. | 27 Dec. 1875
Lieber Freund u. College!
Ich muß Ihnen doch sagen, wie sehr mich Ihre Gastraea № II erfreut hat! Ich bin überzeugt, Sie haben damit jetzt einen gewaltigen Schritt vorwärts gethan. Schon nach № I neigte ich sehr zu dieser Ansicht, wie Sie wissen, allein es war doch noch gar Manches, was sich dem Schema nicht fügen wollte. Ich meine nun zwar auch jetzt noch, daß nicht Alles sich bereits fügt allein besonders Ihre Peneusentwicklung lassen mich annehmen, daß auch da noch der Zusammenhang gefun-||den werden wird, wo wir ihn heute noch nicht klar sehen. Es ist ja nicht denkbar, daß ein Theil der Arthropoden einen andern Ursprung haben sollte, als der andre Theil! Wenn also ein Theil derselben die Gastrula-Form erkennen läßt, so ist anzunehmen, daß sie beim andern Theil verloren gegangen ist. Wie u. auf welchem Wege, das ist nun die Frage! Mit meiner Darstellung der Keimhautbildung bei den Insekten glaubte ich nicht geirrt zu haben, wenn sie aber richtig ist, so muß sie in irgend welcher Weise sich aus der Entwicklung mit Gastrula-Bildung herleiten lassen u. ich glaube, ich würde den Weg wohl finden, wenn ich einmal dahinter käme. || Auch Ihre Schlagwörter von cenogenet. u. palingen. Entwicklung scheinen mir sehr nützlich u. sehr glücklich gewählt, es ist immer gut, für solche complicirte Begriffe einfache Bezeichnungen zu haben.
Ich stecke jetzt tief in der Arbeit drin u. hoffe in einigen Monaten den 2ten Theil meiner „Studien zur Descendenztheorie“ von Stapel laufen zu sehen.
Sagen Sie doch O. Hertwig meinen Dank für seine höchst interessante Arbeit über das Echinus-Ei! Das ist auch wieder ein guter Schritt vorwärts, wenn das so weiter geht, so werden wir schneller, als man es dachte, über das Wesen des Befruchtungsprozesses ins Reine kommen. ||
Sehr leid war mirs, Sie nicht gesehen zu haben, als Sie hier waren. Ich saß natürlich wieder am Bodensee u. werde Ihnen in einiger Zeit die Resultate meiner dortigen Studien senden können. Ziegler sagte mir von Ihrer Anwesenheit in Freiburg. Er ist ein vorsichtiger Mann u. hat sich erst bei mir vergewissert, ob Ihre Gastrulatheorie auch gewiß stichhaltig sei u. nicht etwa demnächst wieder umgeblasen werde! Erst als ich ihn darüber beruhigte, entschloß er sich dazu, die gewünschten Modelle zu machen!
Mit herzlichem Gruß
Ihr
August Weismann