Fritz Schultze an Ernst Haeckel, Dresden-Plauen, 29. April 1900
PROF. DR. FRITZ SCHULTZE
DRESDEN-PLAUEN
REISEWITZERSTRASSE 35.
29.IV.1900.
Hochverehrter Meister!
Sie erhalten in Kürze von der Verlagshandlung in Leipzig mein soeben fertig gewordenes neuestes Buch „Psychologie der Naturvölker.“ Erweisen Sie mir die Liebe, es zu lesen! Was Sie in Ihrer „Schöpfungsgeschichte“ || für das morphologische Gebiet geleistet haben, dasselbe möchte ich in diesem Werk für das psychologische Gebiet erreichen. Es ist „eine natürliche Schöpfungsgeschichte des menschlichen Vorstellens, Wollens und Glaubens.“ Seit 30 Jahren ist das meine Idee gewesen, seit 30 Jahren habe ich daran gearbeitet. Nun ist es fertig!
Könnten Sie mir, || nachdem Sie es gelesen haben, sagen, daß ich etwas geschaffen habe, das Ihrer und Darwins würdig ist könnten Sie mir zugestehen, daß ich die Entwicklungsgeschichte des Geistes wirklich um ein tüchtiges Stück gefördert habe so würde ich darin den Lohn für langjährige Mühen finden. Denn der Einfluß, den Sie in meiner Jenaer Zeit auf mich ausgeübt haben, || hat seine Wirkung nie verloren gehabt, immer hat Ihr Bild mir als eine leuchtende Feuersäule vorangeschwebt.
Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus
Ihr treu ergebener
Fritz Schultze
Herrn Prof. Dr.
Ernst Haeckel,
Jena.