Weber, Victor

Victor Weber an Ernst Haeckel, Kyhna, 12. bis 27. Oktober 1853

Gr Kyhna den 12/10 53

Mein vielgeliebter Ernst u. Freund!

Ich könnte Dir viele u. triftreiche Gründe anführen, dafür, daß so lange ich kein Sterbenswörtchen habe von mir hören lassen, indeß würden sie wahrscheinlich alle nicht hindern können, daß Du abwehrend sagtest: faul, faul!! Folgendes waren die Hauptsächlichsten. 1) war ich zu faul, 2) schien die Sonne so hell, die Bäume waren so grün u. die Nachtigallen schlugen so verlockend vor dem Fenster, daß ich es mir schuldig zu sein schien, den im vorigen Jahre an mir im dumpfen Mauerloch nutzlos vorüber gegangenen Sommer nachträglich anoch mit vollen Zügen zu genießen, 3) kam kein Brief von Dir und 4) hatte ich nicht die Geduld, Fassung, Sammlung u. was Alles zu solch einem ernsten Werk von Nöthen ist, sodaß ichb mich nicht überwinden konnte den im Kopfe halb fertigen Brief aufs Papier zu tragen u. nur einmal kam ich so weit einen Bogen Briefpapier zu nehmen u. darauf zu schreiben: Halle 7/7 53 da überkam mich jedoch der Gedanke, daß ja bald Ferien kämen u. mit ihnen Du selbst. Und so bliebs. Wohin jetzt hin zur Arbeit treten, jetzt ist es Frühlingszeit, kommt laßt uns gehen u. bummeln oder was Du sonst willst. Siehst Du, dies war die Geschichte von dem Briefe welcher ich noch zum Schluß einen Satz zufüge den ich öfters aus Volksmund vernommen habe und welcher also lautet: Kehre erst vor Deiner Thür! Jetzt jedoch sitze ich da, schreibe wirklich u. habe schon geschrieben. –

Wie Dir auch ohne mein Vermelden bekannt sein wird, ist jetzt wieder ein Semester vorübergegangen; es wird daher zweckdienlich u. nicht ohne Nutzen sein vor dem Antritt des neuen, den Inhalt des verlebten nochmals kurz zu rekapituliren:

Nachdem Ernst Hetzer abgereist war, kamen Tage u. vergingen, sie waren kalt u. Rieke mußte einheizen. Ich aber sehnte mich nach ihm, wünschte ihn zurück u. ließ mir meine bis auf meine Haut verbrannten Hosen quam optime flicken u. ärgerte mich nur über jene Nacht welche die letzte unsres Zusammenseins war. Nicht über die Nacht sondern über Eines, das auch zugegen war in jener Nacht. Doch die Tage wurden schöner, der Himmel blauer, die Schwalben flogen fröhlicher, die Finken, Nachtigallen, Kuckuke, Regen- Pfingst u. andere Vögel der Ordnung Passerinae hatten ihre Saiten gestimmt u. fingen gar lustig an zu präludiren. Ich sah zum Fenster hinaus u. freute mich über den so blauen Himmel und die Thiere, welche ihn belebten, über das goldene Licht u. die frische grüne Natur u. es war unendlich, unaussprechlich, mit einem Worte so sau wohl, wenn Du die Fülle der Wohlheit u. des Wohligseins dieses Wortes begreifst und verstehst. ||

In dieser so großen Wonne c konnte mich selbst jener mit meinen Schicksale so innig verschmolzene Schusterjunge Meister Baalz’s nicht stören, welcher, in Erwägung daß früh der Mensch am besten zu sprechen ist, eines Morgens zu mir kam u. da ich urplötzlich sehr pünktlich geworden u. soeben ins Colleg gegangen war (oder zu sein angeben ließ) an Hetzer das bekannte Comliment von Meister Baalzs bestellte.

Die Erfahrung zeigt öfter, daß der menschliche Geist auch ohne die pflegende Hand eines Lehrers oft aus seiner ureignen Kraft heraus sich emporhebt u. nicht so dumm bleibt u. ist, als ihn manche halten. So bei meinem kleinen Freund. Er hatte des andern Morgens natürlich nichts besseres zu thun, als früher zu kommen, wo ich dann natürlich sofort noch im Bette schlief u. zugeriegelt war, doch sein Genie half u. wartete vor der Thür bis daß ich kam. Denn sein Meister weiß wohl daß er nach 1/4 jähriger Pumpfrist nichts mehr zu fordern hat. Es half daher nichts als das Geld wofür ich mir einen Sommerrock kaufen sollte, ihm zu geben u. dafür keinen Rock oder da dies auf die Länge doch nicht ging, einen neuen Pump anzulegen. Es begab sich nun zuweilen daß auch mein Weg durch gewisse Straßen führte, wo sich alsdenn aus gewissen Häusern ein Brummen erhob, als wie das eines Bären, wobei mir d Sachkundige auch erklärten daß dem wirklich so sei und der Bär seiner Losbindung entgegenharre. Ich thats natürlich nicht denn ich bin kein Bärenführer. Solcherlei Begebenheit trugen sich zu in dem Hause Jägerplatz 1074 im Garten 2 Treppen hoch mit dem studiosus V. W. Dieserlei Art war meine Stimmung im vorigen Semester, es war das glücklichste heiterste u. sorgenloseste (weil ich mir selbst auch keine machte (Sorgen nehmlich)) Semester das ich hier verlebte.

Was um nun weiter zu gehen das Botanisiren betrifft, so ist in diesem Jahre wenig geschehen. In der Heide bin ich paar mal, am See u. im Mittelholz gar nicht gewesen. Neues habe ich nicht viel gefunden: Vicia villosa neu für die Flora auf Äckern bei Nietleben häufig, Diplotaxi steht noch am alten Ort. Daß ich Trifolium pauciflorum, Hutchinsia u. mit Weiß am 31/5 Carex obtusata gefunden habe wirst Du aus den Dir zugesandten Exemplaren ersehen haben. Außerdem habe ich noch einige neue Standorte für Sonchus palustris zur Rechtfertigung Sprengels, Thysplinum [! Thymus serpyllum?], Crepis foetida, Trapa u. Spiranthes wieder bestätigt. Nun auch Ranunculus Lingua bei Dieskau Eragrostis nichts gesehen. Gegen Ende des Semesters als ich durch Verkauf meiner Auslese (500 Bogen) aus meinem Herbarium erkannt hatte e wie arm es an Dingen sei, die doch so leicht zu haben sind, ergriff mich ein Raptus der mich tagtäglich resp. abends hinaustrieb und 1 Armvoll gemeines Unkraut hohlen ließ jegliches in x Exemplaren sodaß bald 2 Pressen überfüllt waren. Da sich bald Löschpapiermangel fühlbar machte wurde Alles mit möglichst wenig Aufwand von || Papier in 1 Comodenfach geschichtet wo es bis jetzt liegt. (Amöne Aufgabe dies dermaleinst in Ordnung zu bringen.) In Beendorf bin ich einmal gewesen, nur mich zu überzeugen daß Alles noch so stand wie im vorigen Jahre. Sturmia, Gladiolus u. all die schönen Sachen habe ich natürlich nicht gefunden. Ich wollte mir da es bis jetzt nicht geschehen ist, neues Papier anschaffen im größeren Format das würde aber 1 Vergrößerung des trocknen Papiers, der Presse und des Einkaufspreises nach sich ziehen. Auf Alles wollte der kleine Weiß eingehen u. so ist es geblieben u. wird es bleiben.

Wenn ich Zeit und Lust habe, werde ich mich darüber machen, es in möglichste Ordnung bringen u. ad Acta legen zum redenden Zeugniß daß ich mich auch damit beschäftigt habe und es mir Schweiß viel Schweiß habe kosten lassen. Die Lust u. Eifer zur u. in der Botanik hat überhaupt wesentlich bei mir abgenommen u. es kann wohl früher oder später die Zeit kommen, daß ich sie an den Nagel hänge. – Seltsame Geschichten das! Bei Schlechtendal hätte ich nichts angenommen. Er ließt blos 4 Collegien welche gerade 2 Semester ausfüllen, sind diese vorüber so geht’s wieder von vorn an.

den 13/10.

Viel Vergnügen dagegen haben mir 2 Collegien gemacht, die ich dies Semester hörte: die Zoologie bei Burmeister u. die organische Chemie bei Heintz: das erstere theils durch den Stoff selbst, größtentheils aber durch den Vortrag, der nach Burmeister’s Art gewürzt mit allerlei Ergötzlichkeiten u. interessanten Abschweifungen ist. Von der Zoologie der Schildkröte, auf moderne u. griechische Kunst, medicinische Venus und Apollo von Belvedere zu kommen, mag allerdings für den paradox klingen, der nicht selbst den Übergang oder die Veranlassung dazu vernommen hat. Wenn er dann erzählte, wie Ehrenberg irgendwelche Affen aus Egypten zuerst nach Europa gebracht hat, so folgte ein endloses baucherschütterndes Gelächter. Die Geschichte ist nehmlichdiese: Ehrenberg die Büchse in der Hand, mit mehreren Gefährten am Nil streifend, sieht am jenseitigen hohen Ufer besagten neuen Affen in verschiedenen Exemplaren sitzen die Beine herunterhängend. Sofort wird in 1 daliegenden Kahn gestiegen, doch Ehrenberg kann die Zeit nicht erwarten u. feuert schon vom Ufer aus doch ins Blaue. Die Affen erheben sich ruhig, machen auf der Stelle kehrt u. folgende Hand und Hinthertheilsbewegung [Zeichnung eines Affen, der auf sein Hinterteil zeigt] was Burmeister auf sehr plastische u. naturgetreue Weise vormachte. – In seinem Vortrag verbreitete er sich im Anfang sehr ins Einzelne über Infusoria, Polypen && später aber jagte er entsetzlich, sodaß der Krampf in der Hand beim Schreiben kam. f Trotzdem trug er frei vor u. sah nur dann u. wann in seinem Handbuch nach. Dabei besitzt er eine Fertigkeit im Zeichnen von derlei Sachen die mich oft in Staunen setzte da ich gestehen müßte, nicht im Stande zu sein unter gleichen Umständen dasselbe zu leisten.

Interessanter der Sache nach mir die organische Chemie. Sie war mir von jeher nach dem im Stockhardt Enthaltenen interessanter vorgekommen als die anorganische u. habe mich darin auch nicht getäuscht. Freilich ist sie etwas complizirter u. die Übersicht erschwerter. Indeß ich habe in der letztern Zeit fast wörtlich nachgeschrieben u. mir dann mit Hilfe fremder Hefte ein Heft von 150 Seiten ausgearbeitet. Bequem ist bei den hieher gehörigen Experimenten, daß die Materialien nicht schwer zu haben sind u. kein Geld kosten. Schifft ein altes || Pferd, schnell untergehalten, eingedampft && u. man hat Hippursäure. Ich u. Hetzer haben bereits auf so natürliche Weise aus eignem Fabrikat Hornsäure gemacht. – Gelegentlich habe wir auch etwas von dem vielberühmten Bär erfahren. Er ist ursprünglich ein Apotheker, hat im März einige Barrikaden mitgebaut u. ist dann nach Schweiz gegangen. Von dort zurückgekehrt, ist er mit Heintz seinem Freunde zusammengekommen u. mit ihm nach Halle gegangen.

Bär führt mich auf den Naturwissenschaftlichen Verein für Sachsen u Thüringen; wobei ich Dir nehmlich zu vermelden habe, daß ich sowie auch Hetzer wirkliche Mitglieder derselben sind. Der Verein, der jetzt stetig wächst (in jeder Sitzung werden neue Mitglieder angemeldet) hat wöchentlich eine Sitzung im kühlen Brunnen in Halle. Daselbst trinkt man sein Töppchen && u. hört zu. Wer Lust hat trägt etwas vor. Es sind da Studenten, Lehrer, Ärzte && Vorsitzende sind Giebel u Heintz Schriftführer Bär u. Kohlmann. Berühmtestes hallisches Mitglied ist jetzt wohl Prof. Dr. Volkmann der Physiologe. Auch Schaller (Verfasser Briefe über Kosmos) ist g Mitglied. Der Verein hat eine ziemlich zahlreiche Bibliothek von naturwissenschaftlichen Werken durch Geschenke von in- und ausländischen Privaten u. Vereinen entstanden. Der Verein zählt Mitglieder aus ganz Deutschland viele aus Östreich, die Beiträge betragen 2 rhl jährlich, wofür man noch monatlich ein Heft h mit Sitzungsberichten, Aufsätzen &&. von ca 60 Seiten erhält. Ein kleines Herbarium ist ebenfalls da zum großen Theil von Gercke u. einem Dresdner. Gerckes Pflanzen waren auffallend gut getrocknet, wenigstens die von mir gesehenen. Ich wollte das in größter Unordnung liegende ordnen, mußte es aber wegen Mangel an passendem Papier (just wie bei mir), was Gercke, der erwartet wurde, besorgen sollte, aufschieben. Am 22sten Juni, es war jetzt mein Geburtstag, war große Generalversammlung des Vereins in welcher er sich als Verein für Sachsen und Thüringen constiutirte. Es wurde darin die Statuten, Beiträge, Regierung u. Steuern berathen u. abgestimmt. Buchbinder war zu unserm Staunen auch zugegen. Dann wurden Vorträge gehalten Volkmann, Schmidt aus Aschersleben, Heintz über seine Entdeckung, daß die Margarinsäure nichts anderes ist als ein Gemisch von Palmitin u. Stearinsäure. Bär Geschichte der Gasbeleuchtung u. &&.

Auf einem Tische lag eine reiche Sammlung Merseburger Versteinerungen, von Lüben geschickt; auf einer andern eine Auswahl neuer vortrefflicher Schriften, dem Verein geschenkt. Darunter photographirte Insecten, Hedechsen [!] u. dergleichen aus Paris, Pracht Abbildungen ostindischer Vögel, von einem anwesenden Engländer vorgelegt, u. dergleichen mehr. Nachmittags sollten verschiedene Spaziergänge in die Köhlergrube bei Nietleben, Kröllwitz in die Papiermühle gemacht werden. Doch es war diebsche Hitze u. die alten Herren kamen nicht weit. Auch die Pendelversuche wurden veranstaltet. Nächstes Jahr ist die Versammlung in Jena. –

Den kleinen Weiß habe ich seit Ostern 2mal gesprochen am 31/5 wo ich mit ihm am Bienitz war und dann Ende August als Manöver bei Roßbach war. Der König blieb in Merseburg 3 Tage, wobei natürlich großes Spectakel war. Hetzers Bruder hatte die Ehrenpforte am Gotthardtsthor zu bauen, die zwar nicht sehr groß aber sehr hübsch im deutschen Stil war. Ich habe dazu 1½ Tag ohne aufzustehen ein Nationalwappen mit den beiden Keulenträgern gemalt. Es kam auf die Spitze der Pforte u. machte sich brilliant: Die Schatten mit Ruß u. Leim gemalt. Zum großen Diner waren auch der Alte u. Osterwald befohlen. Jener hat eine lateinische Ode oder sowas gesprochen, was Dir der kleine Weiß Alles genauer berichten wird. Auch Magnificenz unser Rector u. Prorector Prof. Dr. Heinrich Leo der sich jetzt wieder berühmt gemacht hat durch seinen Wunsch, daß ein frischer fröhlicher Gotteskrieg die Welt durchwehen möge u. das skrophulöse Gesindel sichten möge. Die Bestie des materiellen Interesses mache sich breit wie Äsops Riege u. dergleichen mehr. Spaß muß sein. || Dafür kampelt er sich jetzt mit Prutz u. dieser mit ihm in Brochuren, u[nd] Journalen herum. Auch Kladderatsch hat Stoff für einige Nummern erhalten. –

Als im Sommer Alles so grün war u die Luft so milde wehte, überkam mich eine unsägliche Sehnsucht nach Thüringen. es war mir Alles um mich zu enge, ich hätte mögen Meilenstiefel haben, um nur gleich mit einem Male meilenweit in die Welt hineinrücken zu können; i und hätte nicht das Geld zu gründlich gefehlt, ich hätte mich aufgemacht u. eine kleine Spritzfahrt unternommen. Doch Gott verläßt ja keinen Deutschen nicht. ich hatte an Ostern an das Ministerium geschrieben u. so kamen eines Tags nicht allzulange vor Schluß der Collegien an die 15 rhl anmarschirt die just wie geschaffen waren um in den Harz zu wandern. Und so geschah’s denn, daß ich den kleinen Weiß verwünschend, der meine Feldflasche noch im Riesengebirge hatte, meine Tasche schnürte, mich aufmachte u. gleich den ersten Tag gründlich durchweichen ließ. Wäre ich der kleine Weiß gewesen, hätte ich natürlich 1 Schirm mitgehabt; denn Weiß und sein Schirmchen sind immähr [!] beisammen u. keiner verträgt sich so herrlich als sie. Ich rückte also von Eisleben aus u. ging nach Mansfeld um daselbst Urtica pilulifera zu holen. Doch welch Wunder! Nach endlos langem Laufen auf der Chaussee ohne Dorf kam ich endlich in 1 Stadt. Um zu sehen wo ich bin lese ich eine Magistratsbekanntmachung am Thore u. finde zu meinem Erstaunen, daß ich in Hettstedt bin. Von hier ging ich nun zurück nach j Mansfeld, ungefähr so als wenn Du von Merseburg über Schkeuditz nach Halle gingest. Nach Mansfeld bin ich gegangen, doch Urtica pilulifera habe ich nicht gefunden. Des Abends übernachtete ich bei Meisdorf u. dem Falkenstein auf dem Falken u. so ward aus Morgen u. Abend der erste Tag der Harzreise. Selbstredend u. von sich selbst verstehend reist ich allein, was ich für meine subjective Person für das einzig Passende halte, falls ich nicht mit Dir oder dem kleinen Weiß reisen kann. Von dem Falkenstein machte ich mir eine Skizze, besah mir das Innere u. ging dann unter zeitweiligem Regen über Ballenstedt durch den Wald nach dem Meiseberg 3 Stunden u. kein Wegweiser u. kein Mensch als einmal einige Ochsen u. Kühe.

Von dem Meiseberg k aus, war der Blick ins Selkethal ein sehr lieblicher u. idyllischer. Die sich neigende Sonne gab dem saftigen Wiesengrunde auf dem natürlich eine Heerde weidete jene herrliche l grüne Farbe, die den Wiesen im Spätsommer eigen ist. In dem 2ten Nachtquartier Mägdesprung mußte ich früh lange warten weil sich inzwischen draußen der wunderlieblichste Landregen entwickelt hatte. Von Alexisbad an blieb jedoch das Wetter für die ganze Reise das schönste was man sich denken kann. Daher m war die Aussicht von der Victorshöhe, indem der Himmel noch mit weißen Wolken deren Schatten über die Gegend trafen, bedeckt war, wunderschön. Da in meinem Edw. Müller das Steinholz bei Quedlinburg als der botanische Garten Norddeutschlands angeführt war, machte ich noch selbigen Abend den Abstecher nach Quedlinburg u. am andern Morgen nach dem in entgegengesetzter Richtung 1 Stunde weit liegenden Holze ging. Es war wie das Mittelholz u. fand daher um diese Zeit gar nichts. Schon ging wieder zurück nach Quedlinburg in den Brühl wo ich Klopstocks Denkmal vergeblich suchte u. ärgerte mich über die vergeudete Zeit. Nachdem ich mich von der Stecklenburg herüber nach der Georgshöhe, (wo die Aussicht sehr hübsch war;) welchen Weg so Viele verschrien, glücklicherweise nicht verlaufen, kam ich endlich nach der heißersehnten Roßtrappe zunächst jedoch auf den Tanzplatz. || Die Beleuchtung war gerade sehr passend u. ich hatte daher nichts Eiligeres zu thun als Papier herauszuholen u. zu zeichnen, was hier nicht so leicht war, weil der Standpunkt höher war als die Landschaft u. dieses Labyrinth von Felsritzen, Vorsprüngen, Bäumchen && den Blick ganz verwirrte; dazu schien noch die Sonne eben am Auge vorbei u. brannte an den Roßtrappfelsen an, dies u. das häufige hinabsehen in die grauenhafte Tiefe, machten, daß ich öfters, − ich hatte mir einen Stuhl ganz vor den Abgrund gerückt – aufsehen mußte um nicht schwindlich zu werden. Der stete Blick auf die Gegenfelswand ließ mir die Kluft ganz verschwinden und brachte mir die Gegenseite so nahe, daß mir oft ein Zucken in die Tiefe kam und ich gleich hinüberschreiten wollte. Es folgten nun die 1100 Stufen die unter vielem Schweißvergießen auch überstanden wurden. Nach Besichtigung des Nessels mit der Teufelsbrücke u. der Roßtrappe veranlaßten mich irgendwelche Gründe nicht hier auf der Eckartshöhe zu übernachten sondern noch bis Blankenburg zu marschiren wo ich spät im Finstern ankam. Als ich jedoch am andern Morgen am Regenstein zeichnete u. das Wetter so köstlich war, machte ich mir Vorwürfe weil ich die Roßtrappe den Glanzpunkt des Harzes, eigentlich doch recht kurz abgespeißt hatte. Gesagt gethan. Es war 10 Uhr Morgens als ich von Blankenburg fortging, bis zur Roßtrappe sind es 2 Stunden. Weil ich am vorigen Abend meinem bloßen Instinkt folgend, glücklich hieher gekommen war, wollte ich jetzt den von Müller angegebenen um vielleicht Zeit zu ersparen, rückwärts zu verfolgen. [!] Ich ging wie angegeben durch ein Wildthor, bald theilte sich der Weg ich folgte dem betreteneren, der sich aber nur zu bald im Rasen verkrümelte, n nach langem ziellosen Herumschweifen kam ich glücklich am Wildthor wieder an. Jetzt wurde der andere Seitenweg eingeschlagen der sich aber um desto schneller verlor u. mich abermals an das Thor brachte. Jetzt folgte ich meinem Instinkt; Sonne war in dem dichten Gebüsch nicht zu sehen, Compaß war nicht da, u. dieser führte mich nach langem Herumkriechen zweimal glücklich an das erste Wildthor zurück. Verzweifelt, vom Schweiß durchnäßt, mit zerrißnem Rocke ließ ich diesen verwünschten Weg, u. beschloß den andern, der mich ob er falsch oder richtig war, doch richtig herübergebracht hatte. Nach ½ Stunde Gehens am Waldrande hin, erreichte ich ihn u. traf bald 2 junge Landestöchter die von ihrer Last triften. Obgleich bis zum Tode erschöpft, denn bei diesem Verlaufen trieb mich stets die Gier nach einem Auswege u. einem freien Blicke zum Sturmschritt, so schloß ich mich doch ihnen nicht an, weil sie jedenfalls langsamer gingen als ich. Inzwischen stieg der Weg immer höher, bis er sich endlich theilte, ich folgte natürlich dem richtigen, ging u. ging, lief u. lief, kam aber nicht zur Roßtrappe, dabei im schönsten Buchwald auf einem Plateau, sodaß von einem Orientiren nicht die Rede war. Öfters hörte ich das Schießen von der Roßtrappe, aber es war nicht vor o sondern fast hinter mir. Daß ich falsch war, hätte nun wohl auch ein Pferd gemerkt. Doch ich mußte meinen Weg weiter stiefeln um nur irgendwohin in eine Hütte oder in ein Dorf zu kommen. – Da ward der bisher so betretene und befahrene Weg, schwach, es war nur noch eine Radspur u. auch diese verschwand bald. Jetzt hörte allerdings das Vergnügen auf. Seit früh 6 Uhr nichts gegessen, weit u. breit keine Erd- Him- oder Heidelbeeren u. noch keine Aussicht auf Erholung, doch nur noch einiges Hin- u. Herlaufen u. ich entdeckte p eine Höhlenhütte u. Menschen dabei. Sie wiesen mich denselben Weg zurück, wo ich bald auf jene Mädchen wieder stieß, die mich höchlichst verwundert anblickten, denn ich mochte in meiner Hast u. bei der Hitze wohl eher einem „Verlohrenen“ als einem vernünftigen Menschen ähnlich sehen u. jetzt u. jetzt kam ich ihnen entgegen. Mein Ortssinn war so ziemlich in Unordnung gebracht, daß ich noch in der Gefahr des Irrens war, als ich schon der Eckartshöhe ganz nahe war, daher ich mich nicht eher für sicher hielt als bis sie vor mir stand. Durchnäßt bis durch den Rock, mit laut aufknurrenden Magen u. unwillkührlich selbstständig pendelnden Beinen kam ich ½5 q an. Also 6 Stunden, wozu ich tags vorher ermüdet kaum 2 gebraucht hatte. Nach der nöthigen Erholung u. Abkühlung die spät eintrat, stieg ich mit einigen Blättern Papier hinab in den Kessel u. zeichnete. Als eine Skizze fertig war u. ich eine neue anfangen will, bemerkte ich zu meinem Schrecken daß die andern Blätter bereits bezeichnet sind. Ich stieg daher nochmals hinauf bis zur Eckartshöhe, hole neues Papier u. steige wieder hinab. Konnte aber nicht zeichnen. Die Sonne neigte sich eben hinter die Berge, es war kein Mensch mehr unten im Kessel auch oben auf der Roßtrappe verschwanden sie, ich saß allein an der Teufelsbrücke, an diesem schauerlichen Orte. Ich konnte daher die Gegend so viel wie gar nicht genießen, die Hand zitterte mir beim Zeichnen u. stieg deshalb zum 2ten Mal an diesem Tag hinauf. Bald kam der Abend u. entschädigte mich vollkommen u. ließ mich genießen, was wenigen vergönnt sein wird, einen Vollmondabend auf der Roßtrappe. Keinen Augenblick hat es mich gereut diesen Rückweg gemacht zu haben. Der Himmel war rein u. der Mond ging über dem schwarzen Abgrund auf. Er stieg empor u. beleuchtete die Fläche des Tanzplatzes sowie den Roßtrappenvorsprung auf welchem ich saß. Der Abgrund zu beiden Seiten war u. blieb schwarz u. finster, nur die Spitzen der ihn bildenden Felswände waren erleuchtet, die Bode rauschte aus unsichtbarem Grunde. Ein Hornist entlockte zuweilen dem Tanzplatz ein wunderschönes reines Echo. So saß ich wohl bis um 11 Uhr. Alle Müdigkeit war verbannt. Obgleich in der Nacht, so wehte doch die Luft so köstlich warm wie am Tage, nur fehlte ihr die drückende auffallend daher sie nicht beschwerlich fiel. Aller Drangsalen u. Beschwerden, die mir der Weg am Tage bereitet hatte, vergeßend, gab ich mich ganz dem Genuße des Abends hin u. schwelgte im Anblick der Gegend und wünschte nur Dich oder den kleinen Weiß r dahin um im doppelten Anschauen doppelt zu genießen. − . Daß ich dann in meinem Nachtquartier wieder angekommen, einen Schlaf that, so tief als wie der Bodekessel, wirst Du mir wohl glauben. – Der vorige Tag hatte mich gewitzigt und ein gebranntes Kind fürchtet sich vor dem Feuer. Der Weg nach Rübeland geht durch beständigen Wald, führt auf kein Dorf u. Wegweiser giebts bekanntlich im Harz nicht. ich folgte daher einem Führer, der gerade einen Reisenden dahin zu führen hatte. In Rübeland wurde die Baumannshöhle s in Gesellschaft einiger Damen u. fremder Studenten besichtigt, wobei es viel Gelegenheit zu schönen Wadenstudien gab (denn des schlüpfrigen Bodens wegen hatten sich die Damen hoch geschürzt was jenen Studenten viel Spaß machte. Bei fortdauerndem schönen Wetter bezog ich Wernigerode, mein Nachtquartier. Da mich andern Morgens ein Gewitter mit unterschiedlichem Wetter lange im Gasthof zurückhielt, was immer sehr interessant ist, so kam ich sehr spät in der Steinernen Renne an. Hier stieß ich auf die ersten u. letzten Maler (3 Stück) im Harz mit dem hohen Familienwagen und Sonnenschirm. Natürlich setzte ich mich auch auf den ersten besten Felsblock und wollte eine Menge kleiner Studien machen, aber einestheils überwältigte mich die Fülle des Stoffes welche sich darbot, andrerseits drängte mich 1 philistriger Berliner Student, der sich in Wernigerode zu meinem großen Leidwesen angeschlossen hatte u. über den ich mich nun fortdauernd ärgerte, da er diese || so herrliche steinerne Renne mit so gleichgültigen Augen ansah wie vielleicht in seinem Berlin t einen Rinnstein. Eigentlich wollte ich u vom Wasserfall über die Plessenburg nach dem Brocken wie E. Müller angiebt allein ich fand erstens den Weg nicht, und zweitens war die Zeit schon vorgerückt, da ich doch nicht so spät auf dem Brocken ankommen wollte. Ich schlug daher einen Weg ein, der eigentlich gar keiner ist, u. von welchem Müller sagt, ohne Ortssinn u. Compaß solle ihn keiner wagen. Ich hatte keines von beiden ging aber doch. Die Holzemme entspringt in der Nähe des Brockens, ihr folgend mußte ich auch an diesen kommen. Dies suchte ich jedenfalls doch bald war statt des Holzemmenbachs 3 verschiedene Bäche da die aus verschiedenen Gegenden kam. Welches war nun die richtige? Eine Chaussee lief quer über den Bach und doch war auf der Charte keine zu finden. Aus der Sonne erkannte ich jedoch ungefähr die Richtung nach der ich mich zu wenden hatte, wo jener Student gerade entgegengesetzt wollte doch ich ging meinen Weg und er mußte folgen. Nach einer Stunde standen die 2 Ochsen am Berge, an einem hohen steilen Berge, dem Renneckenberg, dieser mußte auf eine Blöße im Sonnenbrand überstiegen werden, worauf wir denn glücklich aufs Brockenfeld u. nur in 1 Stunde ins Brockenhaus kamen. Daselbst standen sehr hübsche Heidelbeeren, ich hatte Hunger u. hier sollte Alles theuer, ich hielt daher einen tüchtigen Naturknipp. [!] (Als ich dann nach gehöriger Abkühlung auf den Thurm stieg (den übrigens der Orkan vom 26/9 umgekehkelt [!] hat) sah ich eben noch den Falkenstein, dann kamen die Nebel und die Aussicht war vorbei: Hier hatte ich indeß wieder einen wunderschönen mondscheinigen Abend u. ich stand bis spät in die nacht auf dem Thurm um das endlose Schneemeer zu bewundern. Dabei war die Luft so mild und warm sodaß im Hause garnicht eingeheizt war. Am andern Morgen wartete ich noch einige Stunden vergeblich auf Aussicht u. stieg dann hinab ins Ilsethal. Das hat einen von den übrigen ganz verschiedenen Character wie überhaupt im Harz jedes Thal seinen eigentümlichen hat. Einen der großen Wasserfälle hätte ich gar zu gern gezeichnet, doch mein Magen übertäubte noch das Brausen der Ilse da ich aus leicht begreiflichen Gründen auf dem Brocken sehr wenig gegessen hatte. Außerdem brachten mich einige plötzlich erscheinende Jesuiten gänzlich aus der Fassung. Ich zeichnete daher den Ilsenstein der sich sehr günstig darstellte verzehrte dann in Ilsenburg Einiges u. schleppte von da meine müden Tage [!] noch bis Ocker wo ich übernachtete und am andern Morgen das Ockerthal bei ungünstigem Wetter u. den Hochofen (Silber Gold Kupfer) besichtigte. Dann zog ich durch die dicken Thormauern in dem ehrwürdigen Goslar ein, betrachtete das Kaiserwappen über dem Thore, dann das Rathaus und das Kaisersworth, 2 herrliche Gebäude mit Spitzbogen v, Hallen u. Statuen verschiedener Kaiser. In der Stadt giebt es lauter uralte aus der Reformation stammende Häuser, die mir in ihrer Bauart aus Holz mit vielen Schnitzereien recht gefielen. Hier hatte ich auch zuerst Gelegenheit reines Plattdeutsch zu hören. Von Vienenburg fuhr ich dann über Wolfenbüttel wOschersleben nach Magdeburg, wo natürlich der Dom bewundert wurde, u. schiffte mich dann ein nach Merseburg, auf welchem Weg ich fast gestorben bin vor Langerweile weil der Zug sehr langsam ging. So langte ich nachdem ich 11 Tage und etwas mehr rhl gebraucht hatte glücklich in Merseburg an. Geschwitzt habe ich ehrlich denn in meine Reise fielen ganz barbarisch heiße Tage. →

[weiter am Seitenrand]

Ich hatte allerdings noch Mancherley an Dich zu schreiben, vor der Hand wird dies genug sein damit nun endlich ein Brief fortkommt es ekelt mich nachgerade an. Möge dieses Lesen desselben nur mehr Vergnügen machen als wie das Schreiben. Denn was ½ Jahr nicht fertig brachte, haben 3 Tage vollendet. Und nun, da ich meine Schuld an Dich abgetragen habe, bitte ich Dich nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten, höre laß recht bald [weiter am Seitenrand S. 5] u. recht viel von dir hören. Ich habe ja so was ich für sicher hielt, Dich zu sehen, eingebüßt u. das lange Semester liegt zwischen hier u. Ostern.

Wenn Du mir noch einen Gefallen erzeugen wolltest, so möchte ich Dich bitten, mir Deine lithographischen Baumstudien die ich mal bei [weiter am Seitenrand S. 4] Dir gesehen habe auf einige Zeit zu leihen, vielleicht auch die holländischen Hand- und Körperstudien, wenn Du sie mir anvertrauen willst. In den Ferien ist auch Gandtner hier durchgekommen doch habe ich ihn nicht gesprochen er hat sich in Merseburg bei irgend 1 Pennal nach Uns erkundigt, weiter weiß ich nichts.

[weiter am Seitenrand S. 3]

Heute den 25/10 bin ich in Halle eingezogen die Stadt hatte eine Menge Fahnen, Kränze, Girlanden u. dergleichen aufgehängt, was ich doch durchaus nicht verlangt habe, vielleicht jedoch haben sies auch des Königs wegen gethan der auf 3 Stunden am 22/10 direct von Berlin gekommen war.

So leb denn wohl und vergiß nicht Deinen alten (nunmehro in den 20ern stehenden) Freund V. Weber stud math Mitglied mehrerer gelehrter Vereine

Jägerplatz 1074.

[weiter am Seitenrand S. 2]

Den 27/10 53. Ich wollte eigentlich den Brief durch Weiß fortschicken lassen da er vielleicht etwas hinzufügt, und ich außerdem nicht weiß wo in welchem Lande u. Stadt Du Dich aufhältst, da erhielt ich gestern den Brief von Weiß (einige 20 Hexameter) mit Deiner kostbaren Einlage, der nur leider jegliche Zeile von Dir fehlte. Ist dies Strafe der Verachtung oder Vergeltung des Gleichen mit Gleichem? Mag ich sie verdient haben, so wirst Du mich doch nun eines Briefes werden würdigen. Für den Inhalt Deines Couverts danke ich Dir übrigens quam pulcherrime! Anfang eines Semesters gehe ich gewöhnlich mit erschrecklich wenig Geld nach Halle. Weil wenn ich etwas von Stipendien bekomme, dies erst Ende Semesters kommt u. dann zur Miethe Pump & verwandt wird. Klein Weiß giebt mir zu seiner Anwendung folgenden Rath: Doch aus dem Rollen des Geldes erwachse Dir Fleisch in die Töpfe! – Daß nicht verhungert ich einst, wie’s lang ich gefürchtet, Dich sehn muß. – Und was verlöre die Welt! u. ich − −! U. alle die Freunde!!

Sobald wie von meinen Herzensachen ich doppelt habe werde ich sie Dir senden, damit Du siehst, daß ich wenigstens in etwas mich Dir dankbar zu zeigen, mich bestrebe. – Soviel für diesmal von Deinem Dich herzlichst liebenden V. W. u. nochmals meinen schönsten Dank.

a gestr.: z; b gestr.: s; c gestr.: s; d gestr.: ch; e gestr.: daß; f gestr.: tz; g gestr.: jetz; h gestr.: von; i gestr.: aber; j gestr.: B; k gestr.: hatt; l gestr.: s; m gestr.: fr; n gestr.: auch; o gestr.: mir; p gestr.: selbst; q gestr.: gl; r gestr.: hieh; s gestr.: eine; t gestr.: soman; u gestr.: mich; v gestr.: Saalen; w gestr.: Groß

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
27.10.1853
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16240
ID
16240