Weber, Victor

Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 3.-11. August 1854

Halle den 3/8 Abends 10 Uhr

Mein bester Ernst!

Du wirst wohl der Meinung sein, daß ein Brief aus Halle nicht zu zeitig kommt, wenn er jetzt erscheint. Darum, es ist eben ein wunderschöner Mondscheinabend, den ich von meinem Göttersitz aus recht bequemlich u. innig genießen kann, nehme ich Papier u. Tinte, um mit Dir einige Augenblicke zu verplaudern. Habe ich auch übrigens keine Schreiblust, so kömmt sie doch am Abend; dieser mit seiner Stille und Ruhe, die Einsamkeit, der Blick auf die dunklen Baummassen usw. dies alles trägt dazu bei um das Blut leichter u. schneller in den Adern fließen zu machen u. den Gedankenumsatz zu befördern. Man befindet sich dann in einer so harmonischen, poetisch idyllischen Stimmung, daß einem in solchen Augenblicken die größten Pläne, welche die Welt aus den Angeln heben könnten, geboren werden.

Aus einem Briefe, den Weiß von Berlin erhalten hat, habe ich erfahren daß Du beabsichtigst diese Ferien nach Helgoland zu gehen. Wäre mir dies nicht zu Ohren gekommen, so hätte ich fast Dir einen Vorschlag zu machen Lust gehabt. Weiß geht in Richtung Harz, ich desgleichen, (dann Riesengebirge bei die Zeiten is nich [!]) u. ich meinte nun es wäre doch recht gemüthlich u. patriarchalisch gewesen, wenn ich das dritte Trifolium wie neulich Rosenberger von einem neuen geometrischena Ausdrucke meinte, dabei wäre. Wir beide haben, denk ich, nicht allzuviel Studentenferien vor uns u. die Zeit ist ja doch gar zu lang schon her u. würde gar zu lang noch dauern, ehe ich Dich wieder zu sehen die Freude hätte. Indeß da sich die Sachen nicht ändern || läßt so ist nichts dagegen zu machen. Ich meines Theils habe mir vorgenommen die Reise mit einer Gründlichkeit zu machen wie sie nur ein Deutscher besitzen kann. Namentlich habe gewaltig große Hoffnungen aufs Zeichnen gesetzt. Dazu hat ein nicht Geringes die jetzt hier befindliche Gemäldeausstellung, die ich so sehnlich erwartet habe, beygetragen. Doch hat sie meine Erwartungen nicht erfüllt. Ein Werk was wie vor 2 oder 8 Jahren Alles fesselte u. allgemeinste Bewunderung fand, war nicht zu finden. Eigentlich große Bilder fehlten ganz, doch war manche hübsche Landschaft da, zuletzt haben mich noch am meisten die Aquarelle interessiert, deren einige von Achenbach in Düsseldorf wahre Meisterstücke waren, obgleich sie ganz simple Gegenstände darstellten so z. B. eines: der deutsche Winter, blos ein Weg der an dem Ausgehenden eines Waldes einer Eiche vorbeiführt und 2 Jäger nebst Hund zeigt übrigens in der Ferne Feld. Allein diese winterlich trübe dicke und graue Luft ist zu meisterhaft, dafür kostet es auch nicht weniger als 5 Friedrichsdor.

den 11/8

Es ist recht schön von Dir, daß Du so oft die Menschenkinder mit einem so langen Brief überraschst wie z. B. gestern. nur wünschte ich auch einmal an mein Haus einen adressirt zu finden, damit auch meine Sammlung sich etwas vergrößere. – Es ist jetzt eine sehr langweilige Zeit: Die Collegien sind geschlossen, größere Arbeiten die ich mir für das Semester vorgenommen hatte, sind theils vollendet theils: u. das ist eben das Langweilige, fehlt die Lust um irgend || etwas Anstrengenderes zu thun. Es dies die Abberration, welche der Geist durch die Nähe der Ferien erleidet, die ihn aus der normalen Richtung heraus, in unruhige kurze Schwingungen versetzt. Während noch vor 6 Wochen ich die Stunde Zeit theuer erkauft hätte, werden jetzt ganze Tage, auf die leichtsinnigste planmäßigste Weise verbummelt. Zwecklos hierhin u. dorthin gehend, bald diesen bald jenen Bilderladen besehend, um zu sehen was man schon 100 000 mal gesehen hat, das schwarze Bret studiren um zu lesen was man schon auswendig weiß, hoffend daß bald die Quästur ihre Zahlungswilligkeit ankünden werde; so geht’s bis der Nachtwächter pfeift. Welche Collegien ich dieses Semester gehört, habe ich schon jüngst geschrieben; viel waren es nicht, da ich schon seit lange den Grundsatz aufgestellt habe, so wenig als möglich zu hören u. so viel als möglich aus Büchern durch Selbstfleiß zu schöpfen um auf diese Weise die Staatsschuld u. ihre Zinsen b nicht allzusehr anschwellen zu lassen. In den ersten Semestern ist es allerdings nöthig, soviel als möglich aus dem Colleg Vortheil zu ziehen, da hier das Feld (in unserm Studium nehmlich) ein so ganz neues ist, was auch seine eigenthümliche Behandlung verlangt die man eben erst aus dem Colleg lernen muß. Die Experimental Collegien kann man natürlich ebensowenig entbehren. In der Regel höre ich blos 2 privata wenn sie 5stündig sind u. dann einige publica die aber nur das Anmeldebuch füllen sollen (man muß nehmlich bei jedem Stipendiumsgesuch das Anmeldebuch mit einreichen). Dieses Semester hatte ich die ganze Woche blos c17 Stunden d, e dafür aber zu Hause von früh bis Abend privatim geochst habe. Es rührt dieses || viele Arbeiten müssen vorzüglich von dem Umstande her, daß ich die Sache bei dem ganz falschen Ende angegriffen habe, daher das eifrige Ochsen in den ersten Semestern ganz zwecklos war und man lieber hätte gehörig bummeln sollen.

Vorige Woche war dahier großes 50jähriges Stiftungsfest der Saxonia, ein Fest was allerdings nicht jedes Jahr wiederkehrt u. daher auch mit dem gehörigen Pompe gefeiert werden mußte. Zu den alten Häusern gehören auch die beiden Manteufels, die aber bei die Zeiten bloß ihren Gruß entboten haben, wenn andere z. B. Hannwald aus Merseburg &. dann Leo und Pernice letztere als Behörden mitgeknippen haben. Das Nähere wirst Du wohl auch in den Berliner Zeitungen zu lesen Gelegenheit haben. Anbei werde ich eine Zeichnung beilegen. An einem jener heißen Tage an dem ich dies zeichnen wollte ohne doch zu wissen, was, kam ich auf diesen tollen Einfall. Es wird zwar noch verschiedenes an der Ähnlichkeit auszusetzen, doch hoffe ich f daß es deutlich genug sein wird um an das Original zu erinnern, falls dieses nur bekannt ist, u. g daß Du unter Hinzunahme verschiedener Vertiefungen u. dergleichen wohl eine Idee von dem, was man Weber zu nennen gewohnt ist, bekommen wirst (ut ait Girard)

Um die allgemeine Langweiligkeit zu vermehren, regnet es auch noch was vom Himmel will, dazu noch halbe Cholera, keineh ganze Stiefelsohle u. überschwemmte Straßen, (denn sobald es mehrere Stunden anhaltend regnet ist halb Halle unter Wasser gesetzt) das sind höchst ungemüthliche Zustände!

Ob Du Deinen Namen schon einmal ausgenommen etwa iim Verzeichniß der Studirenden, gedruckt gesehen hast, weiß ich nicht, jedenfalls aber wirst Du nicht daran denken, ihn in unserm Vereinshefte zu suchen || u. doch ist dem so. Ascherson hat nehmlich ein Verzeichniß der in der Mark Brandenburg gegeben, darnach weiß ich aber fast kaum, ob bei uns überhaupt wilde Pflanzen vorkommen u. welche diese sein sollten. Darinnen giebt er dann an: Erucastrum Poll. Am Exercirplatze Stud. Häckel ebenso Sisymbrium Trio. Diese systematische Botanik mit ihrem Heusammeln u. Aufspeichern wird mir nachgerade etwas langweilig u. bisweilen lächerlich. Man erzieht sich einen Ballast der einem bisweilen hinderlich wird. Am liebsten würde ich mich mit der Anatomie und Physiologie der Pflanzen beschäftigen da dies doch der eigentliche Gipfelpunkt der Botanik u. wenn ich so sagen soll das Wissenschaftliche derselben ist, während das was man gewöhnlich Botanik u. Botanisiren zu nennen pflegt mehr den mechanischen Theil bildet. Man würde dann durch fortgesetzte Untersuchungen u. Forschungen vielleicht auch dahin die Pflanzen wie Heintz den Menschen mit Retorten u. Kochflaschen fabriciren zu wollen. Spaß muß sein!

Da Du den Mann dem Namen nach wohl gekannt haben wirst, sei hier noch erwähnt, daß jüngst der Prof. D’Alton, Anatom, gestorben ist. Wäre ich eine Lebensversicherungsgesellschaft, so müßten die Hallischen Professoren doppelte Sätze einzahlen, da ja in jedem Semester einer stirbt. Während meines Hierseins: Steinberg, Sohnke, Germar, Thilo, D’Alton, Schweigger abgegangen u. jeden Augenblick bereit eben ganz abzutreten. –

Seit ein paar Tagen sind wir im Laboratorium zu vollständigen Feuerwerkern geworden. Hetzer ich u. Weiß haben Bengalische Flammen, Leuchtkugeln, bunte Lichter, Schwärme u. was dergleichen Blödsinn mehr ist, verfertigt, blos dem alten Bär zum Gefallen, der es wiederum einer 3ten Person zu Liebe thut, welche dritte Person seine Braut ist, sage Braut, denn || Bär ist seit einigen Wochen mit einer Weißenfelser Schönheit verlobt u. fährt jeden Sonntag, den Gott werden läßt, dorthin. Hetzer boussiert seine Stubennachbarin eine Schauspielerin und Weiß’es Philistertöchter, es ist rührend, man muß sich nur nächstens auch nach einem dergleichen Mensch umsehen! – Dieser Sommer war in j gewisser Beziehung einer wie ich ihn seit mehreren Jahren nicht gehabt habe. Botanische Excursionen gab es gar nicht. Mittelholz, Dölauer Heide, Beenstedt, − salziger See und wie diese Stationen alle heißen, haben uns dieses Jahr nicht gesehen. Die Excursion welche Carex Buxbaumii lieferte war die erste u. einzige. Wer konnte indeß auch bei diesem ewig veränderlichen Wetter das Haus verlassen; zudem ist meine Trommel seit dem Winter dienstunfähig u. war dies wohl das erste in die Augen fallende Hinderniß, da ich sonst wenigstens botanisches Unkraut gesammelt hätte um die Lücken im Herbarium ausfüllen. – Den neuesten Nachrichten zufolge werde ich diese Ferien hübsch zu Hause bleiben, vielleicht die Auegegenden etwas durchstreifen um nur noch Reiser zu bekommen. Während ich nehmlich bisher vor den Herbstferien eine außerordentliche ministerielle Unterstützung von 15 rhl bekam, welche dann recht eigentlich zu einer Reise geschaffen war, hat man mir diesmal im 5ten Semester nur 7 rhl zu geben beliebt.

Doch so lebhaft in mir vorher auch die Sehnsucht nach dem Harz u. dem Anfange der Ferien war u. ich mit meinem Gedanken nur immer auf der Karte und im Harz war, u. ebenk noch eine Stunde vor dieser Nachricht zum Weiße gehen wollte || um endlich einen Reiseplan zu Stande zu bringen, so war ich eine Stunde nachher so gleichgültig darüber und denke ich jetzt gar nicht mehr daran wie ich überhaupt jetzt noch gar kein Verlangen nach den Ferien habe. Deinen Aufenthalt auf der Königlich Großbritannischen Insel Helgoland wirst Du doch benutzen um einen neuen Aufsatz über das Thema: „Das Meer u. seine Bewohner“ zu schreiben. Es muß allerdings ein ganz eigenthümliches Schauspiel auf einem so kleinen Eilande, das sich l mit einem Blick übersehen läßt, sich in das endlose Meer versetzt zu sehen. Auf dem Wege dahin wirst Du, als Mediciner, zugleich Beobachtungen an Seekranken machen können. Wohlbekomm‘s! Auf dem Rückwege würde ich durch den Jahdebußen über Bremen durch die Lüneburger Heide gehen um zugleich auch ein Landmeer zu sehen im Gegensatz zum Wassermeer.

Um noch einmal auf Collegien u. Ochsen zukommen will ich noch erwähnen daß ich diesen Sommer fast ganz in Mathese aufgegangen bin, zur Physik, die ich hörte, fehlte es mir an Lehrbüchern u. Mineralogie ist nicht mein Fach. Woher diese Abneigung gegen diese Wissenschaft kommt ist mir nicht recht klar, am liebsten würde mir die Kristallographie sein, aber an Mineralien, wo man die xx [!] oft kaum mit der Loupe entdecken kann, sondern an hölzernen Modellen. Diese auf den Anblick ganz ungesetzmäßigen u. willkührlichen Formen in ihre einfachen Theile zu zerlegen u. umgekehrt aus dem einfachen Körper einen zusammengesetzten herzuleiten ist ganz interessant, aber dieses ewige Einerlei. Härte 2–2½. Gewicht 3. Glasglanz – Fettglanz, spaltbar so und so. Farbe: weiß farblos, gelblich grünlich bläulich bräunlich &&&. Das ist zum Sterben, wenn || namentlich im Sommer Mittags von 12–1, wo man entweder den Magen knurren hört oder andrerseits man lieber sein Mittagsschläfchen hielte. Sonst ist Girard ein sehr liebenswürdiger u. studentisch gemüthlicher Mann, schade nur, daß er eben Mineraloge ist, u. nicht z. B. Chemiker statt des steifen Heintz, der immer noch in allerhand Fetten u. Butter wühlt. Es müßte dieser Umstand eigentlich vom nationalöconomischen Standpunkte aus betrachtet werden. Denn wäre auf jeder Universität Deutschlands ein solcher Fettling, so würde der Verbrauch an diesen Stoffen ein bedeutend höherer sein, ohne daß deshalb auf den Kopf des Einzelnen ein Stäubchen mehr käme.

Meinen Plan für den Winter habe ich noch nicht gemacht, da ich noch nicht die angekündigten Vorlesungen kenne. Gehört habe ich eigentlich Alles was zu hören ist, man muß also wieder von vorn anfangen.

Zum Schluß des Briefes könnte ich zwar noch Einiges Politische behandeln, doch scheint mirs bei der jetzigen Lage der Dinge für einen jungen angehenden Staatsbürger das Beste zu sein: abzuwarten u. das Beste für’s Vaterland zu wünschen. Soviel weiß ich indessen, daß wenn ich meine jetzigen Ansichten über einzelne Punkte im Jahre 48 getroffen hätte, ich wahrscheinlich in Wehe über mich selbst ausgebrochen wäre. Die Zeiten ändern sich u. der Mensch wird gewitzigt, falls er nicht ein Schwabe ist. Den Gedanken an ein großes u. einiges Deutschland ist mir immer ein erhabener gewesen u. ist es noch, und schwer sind empfunden worden u. werden es noch die Verluste welche das große Beginnen durch die Flottenauflösung u. die Schleswigsche Niederlage erlitten hat, aber ebenso niederträchtig u. unheilbringend wovon die Kämpfe in Baden und Dresden anscheinend um Rettung der Rechte deutschen Grundrechte. Dieses Treiben und sein Endziel ist mir jetzt ziemlich klar!

[Briefschluss auf dem Rand von S. 6] Mit dem Wunsche daß Dir Helgoland das gewähren möge, was Du von ihm erwartest, will ich diesen Brief schließen. Reise glücklich u. erinnere Dich bisweilen Deiner Hallischen Freunde.

V. Wbr.

a eingef.: geometr.; b gestr.: zu; c gestr.: 2; d Dittographie: hatte; e gestr.: trotzdem; f gestr.: da; g gestr.: ich; h gestr.: n; i gestr.: e; j gestr.: W; k gestr.: so; l gestr.: so

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
11.08.1854
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16214
ID
16214