Weber, Victor

Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, Juni bis Juli 1852

[verschiedene Zeichnungen zur Umrahmung, die Webers Exkursionen 1851/52 mit Haeckel thematisieren]

[Bildunterschriften: Salziger See 27/6 52.; Himmelfahrtstag: Ajuga pyramidalis 20/5 52; Edersleben den 19/7 1851.; Salziger See. 27/6 1852.; Kinderfest 1852; 1/7 1851 Gymnadenia odoratissima! Riechst Du was??! ; Wie das Pennal Weber beim Tinteeinkauf astronomische Beobachtungen anstellt u. zu welchen Resultaten er dabei kommt.]

Brief

des stud. math et phys. V. Weber

an

seinen Freund den Magnificus, Hochwürdigen, hochedel

gebornen, Vest u. Hochgelahrten

E. Häckel

stud med. et nat Berlin, Schifferstraße Nr. 6

Inhalt:

I Vorrede u. Anfang

II eigentlicher Brief

III Schluß

Halle 6–7 1852. ||

Halle 1852.

I Vorrede u. Anfang.

Irgend in einem Superlativ geliebter Ernst!!!

Aller Anfang ist schwer auch beim Briefschreiben. wo er noch dazu sehr unwesentlich ist; weshalb ich ihn weglasse.

II Eigentlicher Brief

„Denke Dir aber nun, daß hier auch nicht ein einziger Mensch ist, mit dem ich mich über so etwas und namentlich über Botanik unterhalten könnte“ schreibst Du in Deinem mir (ohne Phrase) sehr erfreulichen Briefe. Dem kann ich meiner Seits nur hinzufügen, daß es mir oder uns nicht besser geht. Ich hatte schon gefürchtet hier mit meinem Bischen Botanik gehörig abzufallen, weil ich die nothwendigerweise für Höher hielt die nun schon Semester gehört hatten. Doch hierin habe ich mich sehr stark getäuscht. Denn mit meinen kyhnschen Bauerjungen will ich mich besser über Baum Kraut u.s.w. unterhalten als mit diesen dummen Hunden; von denen keiner eine Birke kennt, wenn er nicht den weißen Stamm sieht u. außer Tulipa, Rosa die er aus der Grammatik weiß, wohl keinen einzigen botanischen Namen wissen wird. Ebenso wenig glaube ich daß einer ein Herbarium hat.

Und doch bekommen wir alle Sonnabend eine Fuhre von Pflanzen ins Colleg geliefert wo sie dann besprochen werden. Doch die Mehrzahl läßt diesen Kram liegen u. nur einige lesen sich aus um doch einen schönen Strauß vielleicht für ihre Wirthstochter zu haben. Ebenso groß ist der Eifer bei Excursionen. „Wer bei solcher Hitze da raus läuft, muß verrückt sein!“ Doch diese Schlauköppe sind gar solcher Abhandlung würdig. − −

Übrigens muß ich gestehen, daß mir jetzt die Botanik auch nicht das interressanteste Kolleg ist. Dies rührt eines Theils von dem Stiefel ab, den Schlechtendal schreibt, wie folgende Probe aus der ersten besten Seite meines Hefts zeigen wird.: Wir finden, daß … ferner finden wir, daß mehr oder weniger verschiedenartige … Endlich sehen wir daß … diese Bildung früher oder später … diese verschiedenen Blattbildungen … diese verschiedenen Blattbildungen – diese verschiedenen Blattbildungen. Ferner finden u. s. fort. Hierbei will ich gleich bemerken, wenn bei Dir das „verschieden“ auch so oft vorkommt, so ist dies: < > eine hübsche Abkürzung (aus der Mathematik) dafür.

Der andere Grund ist der, daß die ganze Vorlesung blos Anatomie behandelt, was zwar eine sehr anziehende Sache ist, aber doch nur wenn man Mikroskop oder wenigstens Abbildungen hat, die man sich in aller Ruhe beschauen kann, was aber bei mir nicht der Fall ist. Dann muß man in diesem Kolleg schreiben, daß man den Krampf in die Finger bekommt, und daher nicht aufpassen kann was man schreibt u. wovon die Rede ist. Dasjenige Kolleg, welches ich jetzt mit wahrer Lust u. Liebe besuche, ist die analytische Geometrie || bei Rosenberger, dasselbe in welchem ich früher einmal einschlief u. oftmals mich unendlich freute wenn diea Uhr voll schlug. Allein das lag an der Neuheit des Stoffes und der Betrachtungsweise (denn Du wirst z. B. ebenso wenig wie ich wissen: was eine Abscisse Ordinate usw ist) u. dann an dem ungeheuer schnellen Vortrag den er hat. Er hat eine 3 theilige Größe hingeschrieben, b irgend eine Potenz erhoben u. wieder hingeschrieben, alles eher als ich die einfache Größe ins Heft schreibe. Auch betraf diese Betrachtung blos gerade Linien, c während wir jetzt Kegelschnitte haben. Übrigens muß ich noch Dir sagen, daß mir dieser Rosenberger 3mal in der Woche freien Tisch gegeben hat u. das von freien Stücken. Dagegen wird die Differenzialrechnung bei Sohncken ziemlich langweilig, der an u. für sich ganz gute Mann, der schon von Natur eine bedeutende Mährgabe hat, verbreitet noch dazu zuweilend bei seinem Eintritt eigenthümlich einen Schnapsgeruch, in welchem Falle es vollends interessant ist. Jetzt untersuchen wir was ∞0 oder 0 und dergleichen für Werthe giebt. überhaupt [!] spielt das Unendlich große und kleine eine bedeutende Rolle. dabei haben wir Exempel zu Hause rechnen müssen, die beim bloßen Anschaun die Haare zu Berge stehen machten. z.b.

wo man Bogen an einander heften möchte um die ganze Ausrechnung hinzuschreiben. „Na ich habe genug von Deinen Collegiis“! So will ich Dir denn noch einiges erzählen von unsern Excursionen u. ihren Erfolgen. Zu einer Fahrt wie ich sie liebe gehört: in aller Hitze draußen herum laufen, nichts zu essen zu haben als etwa Brom- u dergleichen Beeren, halb verhungern, ¾ verdursten u. das Bischen Fett, von dem man unterdessen vielleicht leben könnte, inzwischen vollends ausschwitzen. Dabei wohl an Kneipen vorbei kommen, auch Geld in der Tasche haben, aber so viel Willenskraft zu haben, stolz daran vorüber zu gehen u. dann ganz auf gelöst nach Hause kommen. Und dies Alles nicht um Goldklumpen zu finden, sondern blos um ein Bischen lumpiges Heu, was von jeder Wiese mit Wagen heimgefahren wird, zu holen. Zu solchen Fahrten würde man allerdings die hiesigen Herren schwerlich bringen. Ich habe ihrer indessen mehrere in diesem Jahr gemacht; deren erste die nach dem Bergholz, Mittelholz (am Petersberg) über Lettin, Dölau, Kröllwitz am Himmelfahrtstage, wo die Primata in Merseburg frei hatten u. der kleine Weiß den Tag vorher zu uns herüber kam u. bei uns übernachtete.: Nachdem Verschnaufung u. Verzehrung selbstgekochten Kaffees mit Zubrod vorüber unde somit der Natur ihr Recht gewahrt war, verlangte auch der Geist, namentlich der botanische das Seinige und so zeigten wir denn unserm Gaste als die neueste der Neuigkeiten den auf der Moritzburg in aller Pracht, Üppigkeit u. Wohlriechenheit blühenden Cheiranthus Cheiri u. suchten ihm deutlich zu machen, daß dieser Cheiranthus cheiri noch dadurch gewinne an innerem Werth, daß man sich mit der bloßen lüsternen Anschauung begnügen müsse, welcher Ansicht der einsichtsvolle Weiß auch bald den gebührenden Beifall zollte. (Später haben wirs noch herunter bekommen). Was maßen es aber heiß war u. der starke schwarze Kaffee (wie ich ihn stets koche und trinke) die Hitze noch vermehrt hatte, so brach desto platzgreiflicher die || Meinung durch, man müsse irgend wo den Gerstensaft untersuchen. Sintemalen wir aber vor der Börse (wo uns übrigens der kleine Weiß auf Befehl des Herrn Wilhelm Eichhoff hatte bedutteln sollen) [wo ich und Weiß schon früher einmal „Kulmbacher oder Bockbier“ getrunken hatten, was uns erst in einen recht angenehmen Zustand gesetzt und sich so nach her sein volles Lob geholt hatte] also vor der Börse standen u. keine Thüre, da man hätte hineingehen können, bemerkten, auch der Roland, wo wir hätten hinaufklettern können, jetzt weg ist u. in irgend einem Hofe liegt u. von der langen Stehungf ausruht, weil ferner es in Halle noch andere außereuropäisch berühmte Größen giebt, deren Bekanntschaft die Fremden zu machen immer bemüht sind (welche Größe sich Grundmann Hallorenkuchenbäcker nennt), so stiegen wir bei Grundmann ab, nahmen dann auf dem Hauptwege noch ein natürliches Douchebadg ein u. trafen nun zu Hause die Anstalten wie wir den kleinen Weiß auf unserm Sopha einquartirten, (da es für mich u. Hetzer zu kurz ist). Es gab ihm jeder von seinem Überfluß einige Federhaufen ab, die ihm die rauhe Wirklichkeit, die sich in den hervortretenden Stahlfedern aufs empfindlichste sichtbar machte, etwas verschwindender zu machen. Nachdem ich mich verpflichtet hatte, ein treuer Nachtwächter ihnen zu sein, suchte jeder möglichst schnell einzuschlafen u. punkt 3 Uhr weckte ich. Im Mittelholze, das wir alle noch nicht kannten, fanden wir gleich beim Eintritt Orchis sambucina doch nur in 2 Exemplaren. Dann Potentilla rupestris die im Mittelholze äußerst selten sein soll, ferner Salmonaria azurea, Lithospermum azureum und officinale. endlich [!] die prachtvolle Iris bohemica in Unmassen. ebenso Dictamnus u. auch Muscari comosum doch noch nicht blühend. Später fand ich dies in einer Menge und Pracht die in Staunen setzte, so daß ich mich kaum mäßigen konnte. Ins Bergholz konnten wir des starken Unterholzes wegen nicht eindringen. Melittis Melissophyllum das im Mittelholze stehen soll, das wir aber zu (als ein zu hohes Glück) nicht zu finden gedacht, fanden wir auch nicht. Jetzt traten wir den Schlangenweg nach Lettin gerade in der Mittagshitze an, von dort nach der Heide wo wir lange suchten u. endlich fanden: Ajuga pyramidalis, Montia minor u. andere Sachen sollen auch dort rum stehen. Zuletzt fanden wir noch Avena praecox was zwar häufig dastand, wegen zu großer Müdigkeit Verzweiflung u.s.w. (auch kannten wir es noch nicht) von jedem nur in 1 Exemplar mitgenommen wurde. Daher ich zu meinem Bedauern Dir nichts davon schicken kann.

Hier auf den Kröllwitzer, Sonnenstrahlen aufsaugenden und ausstrahlenden, des Wassers entbehrenden, Schutz nicht gewährenden Bergen, zeigte sich wie Hitze, Durst, Hunger, Müdigkeit, Berg auf und ab u. Steingerölle führender Weg überwunden werden von dem wahren Botaniker. Früh um 4 Uhr ausgerückt nicht gesessen als auf dem Bergrücken, des Mittelholzes, wo die Sonne zeigen wollte was sie vermochte, sich plagend mit dem Ausroden von Dictamnus, nichts gegessen als für 6 d Semmel mit einiger Wurst, nichts getrunken als Proben von allerlei fließenden u. stehenden Gewässers. Vergeblich wurde vor Kröllwitz der Feldflasche die lothrechteste Lage gegeben, um sie zu zwingen auch die letzten Reste ihres Inhalts auf die gaumenanklebende Zunge tröpfeln zu lassen. (Das hinzugehörige Bild ist das unten in der Ecke rechts) doch Abends 6 Uhr zu hause angelangt war Alles vergessen. Das Ergebniß befriedigte ja! ||

I

Ich bin seitdem alle Wochen im Mittelholze gewesen, u. es hat mich nie betrogen während ich in Landberg dies Jahr blos 2mal im Frühling gewesen bin, wo ich das erste mal nichts aber das 2te mal bei fürchterlicher Hitze gar nichts fand. – Eine andere u. die Hauptfahrt war die nach dem salzigen See am 27/6 Weiß kam wieder Sonnabend herüber. Schon die Nacht war schön namentlich für mich., da ich an Weiß, um ihn so sanft als möglich zu betten (denn er war über Dieskau gegangen, also schön müde) hatte ich ihm möglichst viel Betten von mir zu gegeben. Jetzt mit dem Kopfe ein Fuß tiefer als mit den Füßen wälzte ich mich bei schrecklicher Hitze auf dem Lager herum. bis ich endlich in der Verzweiflung mich auf den ebnen Fußboden legte wo ich 2 Stunden lag u. einen Schweiß entwickelte daß es gossenweise an mir herunterlief. 3 Uhr mußten wir wieder heraus, so daß ich blos 3 Stunden geschlafen hatte. Die Fahrt selbst kann ich kurz abmachen da Du sie auf dem Bilde siehst; An dem Kelterhause neben der Schlucht am Bindersee suchten wir natürlich auch diesmal, fanden aber nichts neues Oxytropis war fast verblüht. Hier an diesen sonnigen Bergen war dann eine unausstehbare Hitze, die in uns den lebhaften Wunsch erregte zu baden. Dies thaten wir auch an dem Baderhäuschen was gleich am Anfange steht, wo wir mit aller Gemächlichkeit auch Utricularia holten. Das Bild weiter stellt die Gesellschaft während oder unmittelbar nach dem Bade dar, wo Weiß der zuerst hinein u. herausgegangen war, seine leiblichen Begierden auf dem Kirschbaum befriedigte. Da uns der natürliche Zustand, in welchem wir uns befanden, außerordentlich angenehm erschien, beschloßen wir möglichst lange darin zu verbleiben, u. wanderten daher so weiter (wie das h entgegengesetzte Bild zeigt) doch machten allerlei spitze Sachen auf dem Wege das Gehen namentlich füri den kleinen Weiß durchaus nicht angenehm. Noch vor Rollsdorf fanden wir Lepigonum marginatum in vielen u. schönen Exemplaren. Bei Rollsdorf fand ich eine Orobanche arenaria die noch einmal so lang ist wie dieser Briefbogen. Von Seeburg gingen wir durch die Weinberge wieder zurück ohne Colutea cruenta der daselbst verwildert vorkommen soll zu finden. Absolut neues haben wir auf dem ganzen Wege nichts gefunden, außer Hordeum secalinum und Melica ciliata: Ich ging denselbigen Abend noch nach Merseburg wo andern Tags Kinderfest war. Bei dieser Gelegenheit hatte der Magistrat auf Befehl der Königlichen Regierung eine schwarzrothgoldne Fahne von einem Privatzelte herunterholen lassen, während noch voriges vom Magistrat und dergleichen aufgestellt waren. – Was sonstige Funde betrifft so habe ich neulich zwischen Schwalchloche und Lettin Inula germanica u. media M. B. welches sich fast nur durch den viel größern Strahl von germanica unterscheidet. u. vor Lettin auf dem einzigen Standorte im Garcke fand ich Jurinea cyanoides Rchb. oder Serratula Pollichii Koch. Dann noch bei Dölau auf einer Wiese j die (wenigstens denke ich mir’s) im Garcke oft vorkommt, suchten wir u. suchten Pedicularis helvetica u. fanden Drosera was blos nach Leysser hier stehen soll u. dann nach langem weiteren Suchen Hydrocotyle was auch blos Leysser hierherum angiebt, während wir dies aus dem Moose rausbeäugelten, fand Hetzer ein einziges Pedicularis. ich habe gesucht wer weiß wie viel aber nichts gefunden Ich hätte überhaupt Lust „Rettungen Sprengels“ herauszugeben. nur habe ich immer die Beispiele wo Sprengel Recht || hat vergessen. So fand ich neulich im Mittelholz 2 Exemplare von Trifolium rubens was ich doch schon mit Dir bei Freiburg gefunden habe. Leysser giebt nun Trifolium alpestre nicht an dafür aber Trifolium rubens, stellt dies aber unter die Gruppe: calycibus villosis was für alpestre und nicht für rubens paßt. macht aber Varietäten, deren eine die ist Trifolium montanum, spica longissima rubente was doch wieder auf das letztre paßt u. giebt für diese Varietät das Mittelholz an. Garcke sagt jedoch k „fehlt bei Halle und Merseburg“ in welchem Falle er es sicherlich (nemlich Merseburg) mit anführt. Doch damit ich die Hauptsache nicht vergesse; am 19/6 war ich mit Hetzer wieder im Mittelholz u. ich beschloß den Hügel, an dessen Fuße wir soviel gefunden hatten, von allen Seiten zu betrachten u. suchen als ich auf die wie noch unbekannte Seite kam, fand ich, - nun was fand ich? .: Melittis Melissophyllum l nur Schade, daß der eigentliche Glanzpunkt schon vorüber war, so daß wir nach vielen Suchen nur ungefähr 6-7 Exemplare blühend fanden, daher Du Dich nicht wundern darfst, wenn Du nur 1 paar bekamest. – Auch dies Jahr bin ich wieder an der Benndorfer Mühle gewesen (in Pfingsten) u. auch dies Jahr habe ich mich getäuscht u. natürlich noch bedeutender als voriges Jahr. Absolut neues fand ich blos Stellaria uliginosa die Du doch wohl kennst realtiv neues blos Anemone pratensis (einen neuen Standort) während Schoenus, Lysimachia, u. die unendliche Orchis und Carexarten noch zu wünschende Sachen sind. An demselben Tage fand ich Comarum, doch an einem andern Orte als Garcke wie mir‘s überhaupt dies Jahr mit Allen zu gehen scheint. Auch Paris fand ich ebenfalls unangegeben, doch Calla was an demselben Orte stehn soll nicht. Hierbei macht Garcke auch einen fehler da der Pontengang nicht in Gertitz, sondern in Kertitz ist was entgegengesetztm liegt. In einem kleinen Park suchte ich 3 Stunden nach Asperula odorata doch vergeblich. – dies wäre ungefähr was ich Dir von Excursionen u. ihren Erfolgen zu erzählen hätte.

Nun zu Deinen großen Bitten: I, der gewünschte Titel ist: „Die natürlichen Pflanzensysteme, geschichtlich entwickelt von Dr. Hermann Leopold Zunck. Eine von der philosophischen Facultät zu Leipzig gekrönte Preisschrift. JCHBn. Leipzig, Hinrichssche Buchhandlung 1840 Aq d. h. 1 rℓ 16 nℓ. Mir hat das Ding sehr gefallen.

II „schicke mir möglichst viele Gräser:“ Ich kann Dir versichern, lieber Ernst, ich würde Dir tausend mal lieber die ganzen Garckischen Gräser schicken als die wenigen, die ich nur schicken kann, denn dann müßte ich sie doch schon gefunden haben. Ich hatte gedacht nun diesen Sommer alle (wenn auch nicht die allerseltensten) Gräser zu finden u. Alles was ich fänd zu bestimmen. Das letztre habe ich zwar gethan, aber ich weiß nicht woran es liegt, ich finde gar keine Gräser, es muß an der Witterung liegen. Eins fällt o mir hiebei ein. ich höre nemlich bei Schlechtendal 1mal wöchentlich „über Gräser“. wo wir denn jedes mal 6-10 Arten Gräser in die Hände bekommen die wir bestimmen müssen (wenn sie im Koch stehen) und dann mit nach Hause nehmen können. da sehe ich dann schwarzmeerige, asiatische, amerikanische Gräser u. oft die sonderbarsten u. merkwürdigsten Formen, aber das Schlimme ist nun bei mir, daß ich jetzt ebenso wenig wie in Merseburg weißes Papier zum Einlegen habe, da ich trotz alles Suchens hier keins habe auftreiben können. Von diesen denn einige habe ich doch eingelegt, will ich Dir jetzt keine schicken, da Du sie doch wohl dem aus dem Botanischen oder Universitätsgarten erhältst. Du siehst uns fehlte der Stoff nicht, wenn nur das Papier dawäre. ||

II

Soviel mir einfällt habe ich von Gräsern Koeleria cristata, Agrostis alba, Stolonifera; Hordeum secalinum Hordeum vulgare Melica ciliata, Poa nemoralis, fertilis trivialis (Du siehst lauter Seltenheiten). Was ich sonst finde, daß ichs gefunden habe, will ich Dir recht gern schicken. Gestern im Kolleg habe ich Eragrostis pilosa und poaeoides erhalten am Felsen hatte ich’s noch nicht gefunden (s’ war noch zu früh und die Trockenheit). hoffentlich werde ichs aber nun finden: Ferner erhielten wir: Asprella Histrix aus Nordamerika. Panicum ciliare Retzius. Panicum colonum ein tropisches Panicum capillare. Tragus racemosus, Dinébra arabica, Koeleria phleoidessüdeuropäisches. von diesen einen eins verrückter als das andere ist.

Wie Du vielleicht in Zeitungen gelesen hast, war hier nach Pfingsten Gemäldeausstellung. Zu dieser hatte ich vom Dr Weber (der mir übrigens nichts angeht, als daß er mich früher mal curirt hat) ein Partout billet geschenkt bekommen. Daß ich diese Gelegenheit ordentlich ausgebeutet habe u. den langentbehrten oder eigentlich so nie genoßenen Genuß mit vollen Zügen genossen habe wirst Du mir wohl glauben: Es waren herrliche Bilder da auch eins was Du vielleicht schon kennst: Daniels Richterspruch von Kaselowsky Eigentlich des Königs u. so eine ganze Unmasse prächtige Dingen; es waren im Ganzen 630 Stück.

p Neulich war, was Dich vielleicht mehr interessiren wird, hier große Bücherauction: Die Bibliothek des verstorbenen Baron v. Palombini, österreichischer Feldmarschall die aus 8000 Bänden bestand. Ich habe mich ganz grün u. gelb geärgert, daß ich zur Botanik u.sw. nicht dagewesen war, überhaupt habe ichs sehr spät erfahren, da ich keine Zeitung u. dergleichen lese. Doch schloß sich an diese noch eine Bibliothek vom Consistorialrath Köhler in Weimar, bei deren Versteigerung ich zugegen war. Hätte ich nur einige 30 rℓ zur q Verfügung gehabt! Da ging Alexander de Humboldt et Bonpland, Nova genera et species plantarum. I und II mit 94 Kupfern. Groß Folio Paris 1815 r Ladenpreis 200 Fr. für 5 rℓ weg. Ferner Alexander de Humbold. Mimoses et autres plantes legumineuses du nouveau continent. 12 Lieferungen mit 60 bunten Figuren 1819 Ladenpreis 672 Fr. für 10 rℓ 1 sgr weg. Ferner Humboldt. Monographie des Melastomacées: 23 Bogen Text; 35 Kupfern 4 rℓ 1 sgr Humboldt. Monographie des Rhexia u.sw. 4 rℓ Diese Bücher haben die Antiquare Lippert und Schmidt erstanden. Astronomische Werke im Ladenpreis 6 rℓ für 1 sgr u.sw. Wenn nicht die 3 Antiquare die werthvollen Bücher in die Höhe getrieben hätten, wären sie noch billiger weggegangen. Es waren gewöhnlich nur 6–9 Käufer da. Ich habe Linnaei philosophia botanica und Definitiones plantarum generum. zusammen für 1. sgr erstanden. Die Dinger sind ganz in Leder eingebunden, geben also ganz schöne Streichschalen ab. Das erste indeß macht mir wirklich Spaß, ein so originelles Buch ist mir lange nicht vorgekommen das Ganze besteht nur aus lauter kurzen Kraftsätzen. z.B. unter der Überschrift: Peregrinatio. Principium erit mirari omnia, etiam tritessima. Medium est calamo committere visa et utilia dann: nomen genericum valet in Republica Botanica uti nummus. u.s.w.

Doch jetzt denke ich wirds wohl Zeit sein Deine Geduldsprobe zu enden. Ich hätte Dir zwar Vieles zu schreiben, was noch einen solchen Bogen füllen würde; dies kann ich aber Alles zusammenfaßen in: Auf allen meinen Wegen Verfehlt s u.sw. Draußen im Mittelholz habe ich Deinen Brief zum 2ten, drüben in Merseburg zum 3ten und hier zum 4–nten male gelesen. Wie eint Pennal auf die Ferien, freue ich mich auf die Zeit des 7ten August. ||

Nur Eins habe ich nun noch zu erwähnen; es betrifftu Deinen Geldbrief. Staunend hörte ich, aus dem Colleg kommend, von meinem Wirth: es ist ein Geldbrief für Sie angekommen. Von zu Hause wußt ich kam jetzt kein Geld. Stipendien habe ich nicht oder wenigstens würde man mir nicht gleich mit der Antwort das Geld schicken. Doch noch mehr vermehrte sich das Staunen als ich auf dem Zettel ‚von Berlin‘ las; bis dann die Adresse mir die Sache aufklärte. Ich werde Dir wohl nicht zu versichern brauchen, daß ich mich darüber gefreut habe, denn über Geldsendungen wird man sich stets freuen u. am meisten wenn das Geld mangelt. Doch eins ist es, was mir dabei Kummer macht. nemlich der Gedanke: daß etwav mein früherer Brief die erste anregende Ursache u. Veranlassung dazu gewesen sein möchte; ich meine, daß Du etwa diesen Brief die Absicht w gerade speciell xdieses Resultat hinzuwirken beigelegt habest. Indessen ich hoffe daß ich bei Dir anders angeschrieben stehe als Einer, der durch Schmeicheleien, u.s.w. sich Vortheile dieser Art erwerben will Vorläufig kann ich nur soviel, als Dir (respective Deinen werthen Eltern) meinen tiefgefühltesten Dank zu sagen. In den Ferien wo ich Zeit habe, werde ich mich bestreben durch irgend welche Sache Dir einen Beweis meiner fortdauernden Liebe und Dankbarkeit zu geben. –

III Schluß.y Mit dem sehnlichsten Wunsche daß sich der Zustand Deines Fuß bald bessere, schließe ich meinen Ellenlangen Brief. Der vorige sollte sehr lang werden u. wurde sehr kurz. Dies mal wollte ich blos: Bilder ohne Worte schreiben u. er ist von Tage zu Tage gewachsen. Du wirst wohl bald merken daß er 1000 mal abgesetzt u. wieder fortgesetzt worden ist, jenachdem ich Zeit und Lust hatte. –

Also noch mals meinen herzlichsten Dank für Dein Geschenk u. sei versichert, daß ich noch mehr

Dein

treuer Freund

V. Weber

bin als früher.

Es lassen alle grüßen deren Du Dich noch erinnerst

am meisten Dein V. Weber sowie Hetzer, Weiss ist in den Ferien. Lebe wohl!z

Es ist dies der längste Brief, den ich in meinem ganzen Leben geschrieben habe!aa

Noch muß ich bemerken, daß ich auch wie weilend Cicero an seinen Sohn schreiben kann: nostras epistolas legendo. stylum, usw. na Brief ist Brief.bb

Grüße Freund Crelinger bestens von mir; die betreffende Kladderadatschnummer hat mir viel Spaß gemacht.cc

Der kleine Weiß, der die beste Figur auf dem Bilde sein sollte und auf den ich mich ordentlich freute, ist, wie Du siehst, mir ganz mißlungen, als er aber 1mal auf dem Papier war konnte ich ihn nicht wegbringen. Ich überlasse daher das Weitere Deiner Phantasie.dd

a irrtüml.: die; b gestr.: H Q; c gestr.: doch; d eingef.: zuweilen; e korr. aus.: war; f kor. aus: Stehlung; g Wortstellung korr. aus: Douchebad natürliches; h gestr.: darüber; i von links eingefügt: für; j gestr.: (; k gestr.: dß es; l gestr.: doc; m gestr.: nahe bei nander; eingefügt: entgegengesetzt; n Initialen des Buchhändlers Johann Conrad Hinrichs Leipzig übernommen von Titelseite; o gestr.: so; p gestr.: Vor; q gestr.: D; r gestr.: für; s gestr.: s; t gestr.: als, eingefügt: ein; u korr. aus: befrifft; v gestr.: dieser bei; eingefügt: etwa; w gestr.: beigelegt; x gestr.: h; y von links eingefügt: III Schluß.; z korr. aus: ersinnerst; aa weiter auf der Mitte des Briefes, quer zur Schreibrichtung: Es ist […] habe!; bb weiter am rechten Rand quer zur Schreibrichtung: Noch muß […] Brief.; cc weiter am linken Rand quer zur Schreibrichtung: Grüße Freund […] gemacht.; dd weiter am unteren Rand verkehrt herum geschrieben: Der kleine […] Phantasie.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
Juni bis Juli 1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16209
ID
16209