Weber, Victor

Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 11.12. Januar 1853

Deinen Brief erhielt ich gestern von Weiß.

Halle den 11/1 53. Abends.

Mein theurer Ernst!

Wenn ich mich jetzt hinsetze um Dir zu schreiben, so geschieht es nur um Dir so schnell als möglich meinen schuldigsten Dank für dies u. Alles frühere auszusprechen (mein größter Wunsch ist, daß sich mir eine Gelegenheit bieten möge, Dir meine Schuld abtragen zu können), denn sonst bin ich jetzt sowenig aufgelegt zu schreiben, wie nie. Du wirst aus meinem letzten Brief wissen, daß ich mich in der finstersten Laune von der Welt befände. – So wars, doch so ist’s nicht. Noch vor den Ferien als ich nach Hause ging, befiel mich Traurigkeit, daß ich fort von Halle mußte u. nach Hause u. ich war froh andern Tags wieder herlaufen zu können, um meinen Bruder abzuholen. Doch im Laufe der Ferien als ich 1) nicht zeichnen konnte, weil mein Bruder die bestellten a Vorschriften u. Papiere vergessen hatte u. 2) ich etwas andres, was ich vergessen hatte in diesen Ferien zu Ende zu bringen, nicht machen konnte, weil mich ein Handwerker im Stich gelassen hatte u. 3) weil ich aus Mangel an Büchern namentlich mathematischen nichts Gescheites machen konnte u. das was ich vornahm, nicht vorwärtsbrachte, erzeugte sich bei mir eine Stimmung, die mirs nicht eben erfreulich machte als ich hieher müssen. Dann komme ich etwas zu dem Glauben (putare) Überzeugung ist’s Gott sei Dank, noch nicht.

Kann sein da er nur aus allgemeiner Verstimmung entspringt, daß nehmlich die Mathematik doch wohl nicht für mich paßt. Gott! Ich glaube wenn b gleich etwas andres an Stelle derselben treten könnte, ich ergriffe dieses. Zur Vermehrung dieses Jammers, der übrigens in ganz Deutschland jetzt zu herrschen scheint, denn Weiß hat ihn auch, trug vornehmlich Hetzer bei, der eines Tags plötzlich mit Bergleuten (in der Chemie) freundlichst anband, bis zum Abend knipp [!] u. dann lebhaft vom „Bergmann werden“ sprach u. spricht. Doch ist neben der allgemeinen Ebbe in der Kasse noch ein Umstand von Wichtigkeit, der mich jetzt seine ganze Härte fühlen läßt c : der gänzliche Mangel an Freunden, ich und Hetzer u. Hetzer und ich; ich glaube wenn ich mit dem nicht zusammen || wär und mir sonst nicht ein guter Genius einen Freund zugeführt hätte, ich wäre längst zum Teufel gegangen. Ich fühle wohl daß die Schuld an mir liegt, ich stelle einmal so eigenthümliche Forderungen an die die meine Freunde werden sollen, u. dann fehlt mir auch die Gabe mich mit Fremden leicht im Gespräch einzulassen. Vielmehr ist es mir oft lieber wenn er stumm bleibt und mich meinen Gedanken überläßt. Wenn dann 2 solche Katzenjämmerlinge wie ich und Hetzer aus einer Bude zusammen stecken und keiner (ich wenigstens nicht) dem andern etwas merken lassen will so kannst Du Dir denken wie höchst ungemüthlich es ist. Wenn ich nur jemanden hätte mit dem ich vernünftig reden könnte, doch glaube ich, daß ichs nicht mal thäte, denn da habe ich wieder die verwünschte Sitte Alles mit mir allein abzumachen und dann erst andern etwas davon wissen zu lassen. Mag ich eine Reise oder dergleichen vorhaben nie erfährt es jemand als Tags vorher so daß oft die nöthige Zeit fehlt. Weswegen ich schon oft habe unfreundliche Worte hören müssen. Um so schlimmer ist dies aber, wenn es Freud und Leid und wichtige Sachen betrifft; dann nagt es mir oft im Innern als wenn 200 Mäuse drin wärn und will mir schier die Brust zersprengen. Daß ich aber beides: Schmerz und Freude recht gut empfinden kann, wirst Du wohl aus den Briefen wissen, wenn ich sie auch nicht so wie Du z. B. beim Finden seltner Pflanzen, an den Tag treten lassen kann. Ich komme mehr und mehr zu der Überzeugung daß ich ein recht elender und erbärmlicher Mensch bin. Was hats geholfen, daß Quincke bei der Geburtstagsrede sagte: es gälte auf der Schule sich einen Character zu bilden? Ich kann nichts bei mir bemerken. Indessen will ich mit diesem unmännlichen Geschwätz Dich wenigstens, der Du mit Dir selbst (und wo es ganz gerechtfertigt ist) zu thun hast, nicht belästigen. Die eine Sorge, das Militär (auf 3 Jahr zurück geschrieben) bin ich los, so kommt wieder eine andre. Dazu noch mein Bruder, der jetzt auch in dies Stadium gelangt ist. So gehts fort, man möchte gleich die Freude kriegen. –

Die Schrift sieht aus wie ich selbst finster und mürrisch. ||

Ich bemerke mit Freuden daß mein Brief recht anschwillt. In den Ferien habe ich an Dich nicht geschrieben, weil eine Arbeit trotz aller Anstrengung vor den Ferien und in denselben nicht fertig wurde und da dies ein Weihnachtsgeschenk für Dich mein bester Ernst, werden sollte, so wollte Brief ohne Packet nicht abschicken. Jedoch muß ich bitten, weil es lange währt, nicht etwa ein großartiges prachtvolles Kunstwerk zu erwarten. Daß ich Dir nicht mehr Zeichnungen mitschicken konnte, that mir recht leid, aber Schund, denn dies (die Baumskizzen nehmlich) waren seit langer Zeit das Erste, womit ich vollkommen zufrieden war, wollte ich Dir nicht schicken. Hatte ich mehr wollte ich Dir gern davon schicken, denn es ist jetzt mein seligstes Gefühl, wenn ich etwas finde, womit ich hoffe Dir eine Freude machen zu können. Übrigens hat sie Naumann noch gar nicht gesehen was ich eben doch gern will, da er doch wieder zu viel Angst darin sieht, wie immer.

Ich interessire mich jetzt fruchtbar für Baukunst, natürlich altdeutsche. ich habe bei Ulrici e jetzt gerade den gothischen Stil behandelt, öfters hospitirt. Dieser erklärte die gothischen Meisterwerke namentlich Kölner Dom für die Krone aller dagewesenen und kommenden Baukunst. Neulich bin ich nach Merseburg gegangen blos um mich in die Domkirche zu stehlen, und zu zeichnen. Deren Werth erkenne ich übrigens jetzt erst recht, wo ich nicht hinkann, wie’s einmal der Welt Lauf ist, und wenn mich auch Vieles darin wie das alte und auch neue barocke nichtssagende Zeug stört, so sehe ich doch, daß sie besser als manche andre ist namentlich durch ihre Reinheit von innen und außen und die sorgfältige Arbeit, was namentlich gegen die hallischen Riepel [!] gehörig absticht. Übrigens freue ich mich über den rothen Thurm und die Moritzkirche jedes mal wenn ich sie sehe. Letztere namentlich bietet an ihren Strebepfeiler, Fenstern, soviel Eckthürmchen, Figuren, Verzierungen usw. dar, daß ich mich gar nicht sattsehen kann. Nur ist das Schlimme, daß wenn man auf dem Platze so unverwandt den Kopf gen Himmel reckt, die Leute aus den Fenstern einen für übergeschnappt halten. Indessen der Student muß die öffentliche Meinung, sagt Erdmann, für einen Zopf halten.

Ebensoviel Freude machen mir die wirklich prachtvoll gearbeiteten || corinthischen Säulen auf unserer Universität. Nur ärgere ich mich, daß die Perlen so vor die Säue geworfen sind, denn unter 100 ist höchstens einer, dem’s nicht einerlei ist, ob ein Baumpfahl dasteht oder neun schöne schlanke Säulen.

Am Sonntag haben wir von 10–2 Uhr Nachmittag gepumpt. Heintz wollte nehmlich flüssige Kohlensäure darstellen und wir mußten um sie gehörig zu verdichten 7200 Kolbenhübe machen.

[Zeichnung]

Dies ist der Apparat. Links wird aus 2 ℔ kohlensaurem Natron und Schwefelsäure, Kohlensäure entwickelt diese geht durch das Clorcalziumrohr in den Schlauch und tritt dann in die Pumpe ein. Durch das Schwungrad wird einfach der Stempel auf und runter gebracht und so die CO² verdichtet. In dem weiteren Gefäß ganz oben ist Wasser oder Kältemischung um eine niedrige Temperatur fest zu halten und die Kohlensäure ist erst in dem ganz obersten dem Recipienten. Wir hatten nachdem wir also das Rad 7200 mal umgedreht hatten 20 Loth flüssige CO². Diesen Tag war das Auditorium so gefüllt daß man kaum stehen konnte. Gestern machte er diese in einem geeigneten Apparat fest. Es ist dann eine weiße (wie frischer Schnee) weiche Masse. Er ließ auch Quecksilber gefrieren. Doch wars nicht recht weil er zu wenig CO hineingethan hatte. In den Ferien ist auch Steinberg Prof. chemiae gestorben u. zu selbiger Zeit gegen Abend ein Mann und Frau im eignen Haus angemordet worden, so daß Mann später gestorben ist. Schöne Sachen das!

In der Chemie ists ausgezeichnet, Heintz ist famoser Kerl und Bär noch mehr, der sich aber jetzt sein Gesicht geschändet hat, indem er den schönen Bart verstutzt hat. Er ist ein urgemüthlicher Hans, das ante colleg mit altem Barett Filzschuh und Pfeife und auf der Straße mit westphalengrüner Studentenmütze läuft. Ich habe mir jetzt auch verschiedene Gläser Retorten usw. angeschafft und auch einige Experimente gemacht. Ich habe den Regnault von Strecker mir gekauft ein urgelehrtes Buch, das freilich in anderer Hinsicht den Stöckhardt nicht ersetzt. Auch habe ich mir den kleinen Müller Physik verschafft. In dergleichen bin ich vertreten nur in mathesi nicht, wo man für jeden Satz ein eigenes Buch kaufen möchte. ||

Wie gesagt, ich bin jetzt hinaus über die Zeit des Heimwehs und des Katzenjammers, ob ich jetzt von zu Hause nach Delitzsch spatziere oder nach Halle gehe um in ¼ Jahre erst wieder zu kommen wird nach meinem Gefühlsäußern niemand unterscheiden können. Wenn ich auch vorigen Sommer eine zeitlang Katzenjammer hatte, so war dies kein Heimweh, sondern eben Katzenjammer hervorgerufen durch dieselben Gründe wie bei Dir. Nichtbotanisiren können usw. Doch kam bei mir noch ein Umstand dazu, der hier ein wesentliches Moment bildete: die Sorge um das (im eigentlichen Sinne des Wortes) tägliche Brod. Wenn man zu Mittag erst nachdenken muß, wirst du heute in was Warmes genießen und sich dann einen jammervollen Fraß zusammengebraut hatte, so ist das ein Gegenstand der einem zu Zeiten allerdings in Verzweiflung setzen kann.

Jetzt habe ich mir auch in Leipzig f auf dergleichen Verhältnisse eine Gemüthsruhe angeschafft die klassisch ist. Alles das rührt mich nicht mehr schmerzlich, es reizt mich höchstens zum Lachen. Ich habe jetzt eben nicht mehr Geld als damals (nachdem ich Schleiden 2½ rh. neue Stiefel 2½ (passende Nebeneinanderstellung) bezahlt und sonstige Wirthschaftssachen gekauft habe, noch einen Gulden). Doch laß ich mich dadurch durchaus nicht abhalten bei meinem Alten (id est Philister) einen Nordhäuser für 3 d. oder auch 2 oder ein paar Flaschen Breihahn zu trinken. Denn ich bin ein lustiger Finke, wenn ich mein Geld versoffen hab, geh ich an’n Born und trinke; singt man bei mir zu Hause. Ist’s alle so wird gehungert und gedurstet, wenigstens gebierdurstet. Das erstere ist übrigens eine Erfindung, die ich zu meinem Leidwesen erst jetzt wo ich alle Tage Mittagstisch habe, gemacht habe. Ich stelle nehmlich blos zu meinem reinen Privatvergnügen jetzt Hungerübungen an; beim ersten Versuch aß ich 21 Stunden nichts, blos früh meine 2 Tassen selbstgekochten schwarzen Kaffees und einige Glas Wasser. Das nächste Mal kamen schon 25 Stunden heraus und wenn die Gelegenheit wieder einmal trifft daß ich zu Mittag keinen Tisch || habe, werde ich’s mit 30 Stunden versuchen. Dabei setzt sich nun der Hetzer vor mich hin, holt Butter Brod Wurst usw. vor und tafelt ganz gemüthlich; ich könnte es auch, denn ich habe dasselbe in meinem Brodschrank, aber ich will nicht.

Diese Umänderung hat zum großen Theil Erdmanns colleg de studio acad. hervorgerufen. Ich hätte nie geglaubt, daß überhaupt noch jemand am wenigsten ein Professor solche gesunde (nach meiner Ansicht) Ansichten über Studentenwesen haben könne. Des Abends hole ich dann zu meiner Erbauung das Commercebuch her und lese die alten Burschenlieder und sehne mich nach der vergangenen Herrlichkeit und sauge mich voll von Grimm über die Maaßregeln, die gegen sie getroffen worden sind und noch werden. (Zu Halle auf dem Markt, da stehen 2 große Löwen (Heinrich Heine) usw.) Warum sollte ich auch nicht? Ist doch mein Onkel ein Glied der staatsgefährlichen alten Burschenschaft gewesen u. so stark, daß er binnen 24 Stunden unter: ‚Was klinget und singet die Straße herauf‘ die Stadt Halle verlassen mußte.

Na, lieber Weber, nur nicht schwärmen!

Übrigens muß ich Dich aber bitten mir nicht den Kopf mit solchen verführerischen und aufrührerischen Ideen zu verrücken. Wie noch zusammen studiren mein Kopf ist schon zur Genüge mit dergleichen angefüllt. So ist es namentlich schlimm, daß ich in Jena gewesen bin. Es hat sich in Folge dessen bei mir eine eigne Idee festgesetzt die sich gar nicht forttreiben läßt, nehmlich daß es doch wohl schön wäre ein Semesterchen dort sich herumzutreiben. Aber es ist eben eine Idee und wird’s wohl bleiben. Vor allem muß die Militärangelegenheit erst geordnet sein. Ich habe mich vor 3 Wochen vom hiesigen Stabsarzt untersuchen und mich für untauglich erklären lassen, und doch muß nun noch die Regierungsantwort, die mich wahrscheinlich auf einige Jahre zurückstellen wird || erst abwarten.

Um Dich von dem bejammernswerthen Zustand, in welchem Du Dich befindest, zu befreien, ist es glaube ich, der beste Rath den ich Dir geben kann, suche Dir so viel als möglich Zerstreuung zu verschaffen. Ich weiß wohl es ist ein ganz besonderer Genuß und die größte Wollust, sich diesem Schmerz ganz hinzugeben und durch Vorüberführen aller schönen Bilder der Vergangenheit die Wunde immer wieder aufzureißen. Es ändert sich aber die Sache doch nicht dadurch. Darum thue Dir Gewalt an, gehe oft an Örter, die stark besucht sind, und immer fortwährende Wechsel von Erscheinungen dem Auge darbieten. Wenn Du dann nach Hause kommst, so gehe an irgend ein Buch heran, wenn Du Arbeitslust hast; (die aber dann oft fehlt) und arbeite tüchtig, damit Du, wie der Alte durch Denken die Kopfschmerzen, dadurch das Heimweh vertreibst. –

Hieraus darum bitte ich Dich, darfst Du nicht etwa folgern, daß ich urplötzlich ein kalter theilnahmsloser Mensch geworden wäre, der alle dergleichen Gemüthszustände verlacht und nichts von ihnen wissen will. Deshalb schließe in Deinen künftigen Briefen (die hoffentlich recht bald und oft erscheinen) durchaus nichts aus, was Du mir früher geschrieben haben würdest. Ich kann Dir versichern, daß ich in Allem, was Deine innern wie äußern Verhältnisse betrifft, den wahrsten und lebhaftesten Antheil nehmen und alles gleichsam selbst mit durchlebe. Du wirst stets an mir einen Freund finden, der verschweigen wird, was nicht publik zu werden braucht, der sich freuet mit dem Fröhlichen und weint mit dem Weinenden, der Dir mit seinem Rath, wenn Du dessen bedarfst, gern helfend beitreten wird und dem Du Alles, was Dich bewegt, sei es frohen oder traurigen Inhalts, mittheilen kannst. Denn die Mittheilung des Unglücks giebt ja Erleichterung und der Freude doppelte Freude.

Ich sehe mein Brief hat eine ziemliche Ausdehnung gewonnen, || ich habe Dir alles, was mir auf dem Herzen lag, geschrieben. Darum lebe wohl, mein theuerster Ernst, der Himmel möge Dir baldige Gesundheit und Muth und Kraft zu Deiner Unternehmung geben; dies wünscht von ganzem Herzen

Dein Victor

Bald hätte ich noch etwas Wichtiges vergessen. Meine neugefundene Pflanze ist wirklich mit Deiner identisch also Dipl. muralis. nur daß meine, jedenfalls in Folge des fetten Bodens, sehr üppig waren und ich nur kleine Äste nehmen konnte. Als ich sie jedoch neulich nochmals zur Bestimmung holen wollte, ehe ich Deinen Brief hatte, fand ich noch eine neue gelbe Crucifere, die ich aber durchaus nicht bestimmen konnte. Sie glich auf den ersten Blick, als ich sie fand, sehr dem Erucastrum doch fand sich daß dies 1reihige Saamen hat, wo meine 2reihige hat. Indessen muß sie in dieser Gegend zu Hause sein, da ich jedesmal hierher kam beim Bestimmen. Wenn Schlechtendals Colleg eher angefangen hätte, würde ich sie dem hingetragen haben, jetzt, als sie ich zu diesen Zwecken holen wollte, war sie erfroren oder sonst weg, ich fand sie nicht.

In Deiner Antwort schreibe mir doch zugleich, ob diese und die vorigen Pflanzen glücklich angekommen sind. Denn die vorigen wollten sie auf der Post gar nicht annehmen wegen zu leichter Verpackung, ich wollte ja doch den Witz nicht zu schwer machen, und ich mußte auf meine Gefahr die Versendung übernehmen, wie Du wohl gelesen haben wirst.

Für den Inhalt Deines g Packets muß ich Dir meinen herrlichsten Dank sagen. Ich kann Alles gebrauchen, es paßt mir und die Weste habe ich seitdem täglich an. Sie ist zwar über die Brust etwas enge, doch mache ich nur die untersten Knöpfe zu und dann geht der Witz. Weil meine Arme die höhern Paviansarme sind, so ist mir der Rock [weiter am Rand] hierin etwas zu kurz, doch wird sich dem bald abhelfen lassen. Er kommt mir gerade zu passe, da ich schon seit ein Jahr mit meinem einen blauen Rock (den ich übrigens Jahr um Jahr als Mantel getragen habe) Woche und Sonntag laufe und ich wegen der Ungewißheit in militaribus mir noch keinen machen lassen wollte.

Nochmals meinen Dank und lebe wohl.

[Randnotiz S. 1] Schlechtendal nannte uns von Schriften über Cryptogamen Kunde diese: Eisengrün Einleitung in Studium der Acotyledome 1842–48 (nicht für Anfänger) Körber. Grundriß der Cryptogamen Kunde, Breslau 1848 und Sayer Botanique cryptogamique. Man bekommt seltsame Sachen zu sehen. Farrne tropische (getrocknet) die man nie dafür halten würde, dann einen Fußmesser Durchschnitt durch Wurzel neuer baumartige Farrne usw.

[Randnotiz S. 2] Für Möhl und Pilulifera meinen schönsten Dank Du bringst mich in meine größere Schuld. Wann werde ich einen Theil abtragen können? Die Pilulifera kommt mir recht bekannt vor ich habe was Ähnliches bei Benndorf und wieder was andres im salzigen See gefunden konnte aber ob es Früchte waren nichts rausbringen. – Gedenke des 17ten Januars. 50. Fange nun auch an die Jahrestage als da sind 27 29 31 Januar u.s.w. zu feiern. Gott schon ein Jahr her. Ostern sehen wir uns doch recht bald und lange, das winkt einer mir.

[Randnotiz S. 3] Ich habe mir jetzt das I Heft von Ludwig Richterchen Skizzen zu Göthes u.s.w. Werken gekauft, kostet bloß 4 rhl und enthält 8 Blätter, also Blatt 6 d u. sind gut. Etwas ausgezeichnetes sind aber die Düsseldorfer Aquarelle, wo freilich Blatt 20 rhl kostet was aber sehr billig ist.

[Randnotiz S. 4] Den Faust von Engelbert Seibert habe ich nur in 2 Blättern im Buchladen gesehen und kann, daher blos sagen, daß sie, was Strich u. Zeichnung anlangt, mir ausgezeichnet gefallen haben, über Preis u.s.w. kann ich bei nur kurzer Betrachtung nichts sagen.

[Randnotiz S. 5] Anbei schicke ich Dir einige getrocknete Exemplare der neugefundenen ([au]f [dem] Pfännerholzplatz) unbekannten Crucifere. Vielleicht kennst Du sie schon o[d]er kannst sie sonst wie bestimmen.

[Randnotiz S. 6] Nebenbei schicke ich Dir noch ein Bild mit Text die g Romanze vom Schwammerling. Die Geschichte ist so tragisch, daß sie mich allemal zu Thränen gerührt hat, wenn ich sie gelesen habe.

[Randnotiz S. 7] Die Umrisse zu meinem Bild habe ich fertig nur das Schattiren ist noch die schwierige Sache. Hetzer habe ich ebenfalls gezeichnet und nächstens wird auch der kleine Weiß dran kommen. Könnte ich lithographiren, würde ich mich darauf legen, Studenten zu zeichnen, wie Paulg die Sache brächte, was nie. ||

den 12/1 53 Abends

Giebt es denn bei Euch auch so wenig Kälte als bei uns. Hier kann man noch bequem Cruciferen sammeln, auf manchen namentlich Raps- und Rübsenfelder steht Sinapis arvensis in solcher Menge und so schöner Blüthe, daß es oft den Anschein hat, als stünde das ganze Rübsenfeld in Blüthe; und wenn es einmal einige Linien Eis giebt, so schreit man schon über die Kälte. – Als ich von Deiner Neujahrsfeier las, dachte ich unwillkührlich an Jean Paul’s Neujahrsnacht eines Unglücklichen, mutatis mutandis. Ich meinerseits habe das neue Jahr im Bette erwartet oder kommen lassen, denn als ich vom Läuten aufwachte war es schon 3 oder 4 Uhr Morgens.

Nun ich meinen Bogen vollgeschmirt habe, kann ich auch, trotz aller Mühe nichts Gescheutes zusammen bringen. – Von Collegien wüßte ich nicht was ich Dir schreiben sollte. In den mathematischen namentlich bei Sohncke hinter einander ist es manchmal zum Aus und Anwachsen, dann noch wie Sonnabends Geschichte oder Theorie der Chemie und Chemie hinterher es ist wirklich eine Geduldsprobe. In der Theorie ist es jetzt nachdem die alten Alchemisten wie Trismegistus, Paracelsus, der den Menschen für einen condensirten Dampf erklärte, usw. vorüber sind, ziemlich länglich. [!] Chemie aber ist sehr interessant, indem Hintz jetzt wirklich ausgezeichnet vorträgt. In der Cryptogamie bei Schlechtendal ists auch interessant da er jetzt wenigstens mit besseren Styl || und nicht so schnell spricht, daß einem der Krampf in den Arm kam, wie ein Donner. Dabei hat er dann immer die ausgezeichneten anatomischen Abbildungen von Link die colirirt sind. Im Anfangs zeigte er uns auch verschiedene Urbläschen und dergleichen Sammlungen, hier habe ich zuerst den Protococcus klarinus gesehen er war aus dem steinernen Wasserbehälter auf dem Böhmischen Bahnhof in Dresden und eine Thorea ramosissima ein prächtiges veilchenblaues vielfach verzweigtes Dings aus Paris und Stralsund usw. Einige mal habe ich auch bei Burmeister hospitirt. Er muß immer noch am Stock gehen. Sein Colleg fällt so ungünstig sonst hätte ich es ohne Verzug angenommen: ‚über den organischen Character der Tropenzone‘. Heute sprach er von schmarotzenden Orchideen im Urwald mit 6 Fuß langen Blütenähren Aroideen auf den Bäumen 4 Fuß langen Blättern und 70 Wurzeln. In diesem Colleg ist Alles bei einander. Alte Männer, Studenten und auch Herr Dr Bär besucht es regelmäßig, hat dann stets neuen Rock und Weste an, sein Haar fein saubergekämmt, aber grüne Mütze.

In der Logik ists zuweilen sehr interessant. Er würde Dir sogleich beweisen daß Du und ein Esel identisch seid, im Sein nehmlich. Du ist oder bist der Esel ist auch das ist also beiden gemein. Oder wenn Du sagst || Hier liegt eine Rose denn ich sehe sie, so folgt daraus noch nicht daß sie wirklich da ist, denn das ist bloß eine Sinnesaffection denkst Du Deine h Augen weg, so siehst Du auch keine Rose. Oder wenn Du sagst, ich rieche sie ja, denke Deine Nase weg, so wirst Du auch keine Rose riechen usw. Oder wenn ich Dir eini Haar auszupfe, so mache ich Dich zum Kahlkopf, denn setze ich diesen Proceß immer ein Haar auszuziehen ins ∞ fort, so bleibt keins übrig.

Daß Du Dich über Deinen Berghaus nicht gegrämt hast, will ich schon glauben; ich würde es auch nicht thun. Meine Wünsche indeß ersteigen sich gar nicht so hoch, auch bin schon vollkommen zufrieden, wenn ich mir einen Spaß wie den Regnault kaufen kann, noch mehr aber natürlich, wenn ich dergleichen geschenkt bekomme. Buchbinder hat vom Ministerium 100 rhl bekommen, wofür er j nach Hetzers Versicherung prachtvolle Apparate für die Schule gekauft hat. Das wäre was für Gandtner gewesen. Von diesem habe ich sowie Weiß keine Antwort und wir sind beide drob sehr böse.

Ich sehe meine Gehirnmoleküle haben sich noch zu recht erbaulichen Gedanken zusammengruppirt. Noch nie habe ich sogern Briefe geschrieben als jetzt nur müssen sie an Dich sein, doch auch in amtlichen habe ich jetzt bei einigen leider nur vergeblichen Anhalteschreiben, an allerlei || Behörden des Staates eine große Routine erlangt. Und bei meinen Schreiben an das Ministerium setzte ich mich mit eben so großer Seelenruhe hin als wenn ich nach Hause schriebe, daß ich Brod u.s.w. bedarf. Ich habe seit ich hier bin schon 15 dergleichen Schreiben abgeschickt.

Hier in Halle passirt sonst weiter nichts als daß die blauen Thürme neu gedeckt werden, die 2 großen Löwen (jetzt klassisch weil Göthe 18 mit ihnen gestanden) immer k noch so schön einsam daliegen, der große Riesen Roland aber weg ist und in irgend einem Winkel sein Dasein fristet, nebenbei ertrinkt, erficht, verschüttet sich jede Woche 1 oder 2. In Merseburg hat wie Dir wohl Weiß schreiben wird, es in den Ferien 3 verschiedene mal gebracht und mein Schuster Meister Höp in Ölgrube das große Loos 3600 rhl gewonnen.

Meinen schönsten Dank nochmals für Deine schönen langen Briefe und Beifolgendes, es muß wirklich eine Arbeit sein dieses Briefpacket zu verfassen.

Ceterum censeo claudendi esse tempus Lebe wohl, freue Dich Deines Lebens nach Möglichkeit und gedenke zuweilen Deines Dich innigst liebenden Freundes V. W.

[auf dem Kopf stehend]

Stoßt an! Burschenwohl lebe, hurrah hoch! Bis die Welt vergehet am jüngsten Tag, seid treu ihr Burschen und sprecht uns nach. Frei ist der Bursch! ./. Schönes Lied von einem fidelen Burschen 1817.

a gestr.: Zeichnungen; b gestr.: ich; c gestr.: vor Wichtig; d gestr.: wenigstens; e gestr.: eben; f gestr.: hier; g gestr.: Geschichte; h gestr.: Ros; i gestr.: e; j gestr.: vor; k gestr.: so

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.01.1853
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16207
ID
16207