Victor Weber an Ernst Haeckel, Torgau, 16. Oktober 1858
Torgau den 16/10 1858.
Mein lieber Ernst!
Es war vor ziemlich 14 Tagen Nachts ½1 Uhr, als ich aus den Ferien kommend, in meiner Kneipe eingerückt auf dem Tische einen Brief vorfand, auf welchem mich der matte Schein des Mondes Deine lange nicht geschauten Schriftzüge und noch dazu aus Halle erkennen ließ. Was Alles meine Erwartung auf’s Höchste spannte, so daß ich ihn schnell erbrach – ein lauter Schrei der Verwunderung oder des Entsetzens! – ich überzog schnell mein Bett, kroch tief hinein und war alsbald todt. Am andern Morgen strengte ich denn meinen schwachen Verstand nach Kräften an um das Unbegreifliche begreifen zu können, doch vergebens, weshalb ich kopfschüttelnd das Papier verschloß u. meine Gedanken nach möglichst andern Regionen lenkte. „Verlobe Dich nur nicht gar zu schleunigst“ (vor nur 1 Jahr). Was soll nun aus der großen Reise nach jenen noch ungekannten Bergen, was aus dem „Wildwerden“ auf irgend einem Thule werden? Sei dem, wie ihm wolle, da sich’s halt doch nicht mehr ändern läßt, so wünsche ich Dir denn von ganzen Herzen alles Gute, u. daß Du in dieser neuen Ver- oder Entpuppung das || finden mögest, was Du darin gesucht. − −
Da ich jedoch gelesen, daß der Mensch in diesem Zustande an einer heftigen Seelenkrankheit leide, dermaßen, daß von allen tausend Menschen nur Einea für ihn Interesse hat, ich dieseb letztere naturgemäß aber nicht sein kann, so halte ich für unnütz, noch weitere Ergießungen folgen zu lassen, sondern wende mich lieber c dem seiner freien Dispositionsfähigkeit noch nicht beraubten kleinen Weiß zu. So leb denn wohl, erfreue aber, wenn’s geht, recht bald wieder durch einige Zeilen den, der d freilich wohl noch lange ohne Complement herumwandeln wird, sich aber eüber (ersteres) sehr freuen würde, da er noch immer der alte ist und sich nennt
Victor Weber, Junggesell
a gestr.: r; b gestr.: r; c gestr.: zu; d gestr.: zwar; e gestr.: dar