Weber, Victor

Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 19. Juni 1855

Halle 19/6 55

Liebster Ernst!

Weil der kleine Weiß eben einige Zeilen an Dich abgehen lassen will, füge ich auch ein paar hinzu, damit Du nur siehst daß ich noch lebe u. bis dato noch nicht gestorben bin. Ich habe aber in der letzten Zeit so mannichfache u. zum Theil sehr Zeit raubende Geschichten vorgehabt daß mir eben nicht viel Zeit zum Briefschreiben blieb. Denn erstlich soll ich oder will ich das Vereinsherbarium einrichten, wozu ich aber erst das Papier brechen muß. Dann hatte ich an die 300 Kreuzbandsendungen zurechtzumachen; doch fehlte es auch an eigner Arbeit nicht wozu ich Bibliotheksbücher bedurfte und da ist denn die liebenswürdige Einrichtung hier, daß man mehrere Stunden verlaufen kann ehe man überhaupt das Buch in die Hände kommt. Endlich ist wie bekannt jetzt Sommer und zwar bei uns sehr heißer (nach officiellen Berichten 24° R). Daher man die freie Zeit lieber im Freien zubringt, als in aeinem so düstern Keller wie meine Kneipe ist. Und schließlich ist denn hier auch noch Gemäldeausstellung die denn auch manche Stunde beansprucht hat, da sie sehr schöne Sachen darbietet, namentlich in Landschaften, was ja jetzt überall das überwiegende Fach ist da eine Achenbachsche, Kalkreuthsche und dergleichen mehr, 2 große Bilder von Feuerbach die mich b etwas an die Berliner Sammlung erinnerten, indem derselbe schwarze Leinwand als Grund benutzt hat, so daß die schwarze Farbe überall selbst beim Fleisch durchschimmert. Sehr vielen Spaß haben mir die Aquarelle gemacht (von Pitner in Rom usw.) indem ich wirklich nicht begreifen kann, durch welche Mittel diese Leute den wunder-||baren Effect erreichen. – Von Collegien höre ich in diesem Semester eigentlich gar nichts, denn was ich angenommen habe (u. auch nur weil man 1 privatum annehmen muß,) wird jetzt nicht gelesen weil Knoblauch schon seit 3 Wochen in Paris zur Ausstellung ist, wo er wohl verschiedene 100 resp. 1000 sitzen lassen wird für Apparate, da er bloß so zeitig hingereist ist um das Fett abschöpfen zu können. Wie da hier jetzt eine große Bewegung unter den Studenten herrscht und wie einmal die Einigkeit so groß war, daß Corps-Verbindungen und Kameele eine große Versammlung abhielten so stark, daß das größte Auditorium erfüllt war, u. was das Weitere dort beschlossen, davon wird Dir Weiß wohl berichtet haben. Weiter hätte ich Dir noch mitzutheilen daß nach dem Neusten, Fincke als Rector nach Pforta kommen soll.

Dies wären die wichtigen Mittheilungen die ich Dir machen könnte in der Eile. Hoffentlich wirst Du Dich durch sie veranlaßt fühlen, ein paar Worte zu erwidern u. dann soll schon mehr folgen. Bis dahin bleibe ich

Dein alter Freund

V. W.

a gestr.: s; b gestr.: an.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.06.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 16201
ID
16201