Carl Heinrich Thiele an Ernst Haeckel, Solln, 15. November 1916
Solln, den 15. November 1916
Lindenallee 15e
Hochverehrter Meister !
Nicht länger mehr kann ich’s auf dem Herzen behalten, ich muß Ihnen eine dringende, heiße Bitte übermitteln! Die Not der Welt, Deutschlands und des „deutschen Monistenbundes“ veranlaßt mich dazu:
Ergreifen Sie die Fahne der Kultur, des Fortschrittes und des Friedens! Unterstützen Siea den Reichskanzler in seiner edlen, wahrhaft kulturfreundlichen Bemühung um die Anbahnung des Friedens! Fort mit || dem verhängnisvollen und wirklich unbegründeten Englandhaß! Der deutsche Monistenbund, der jetzt so und so, nach Müller-Lyer’s Tod gänzlich verwaist und kopflos ist, muß unter Ihrer Führung sich endlich zu einer großen Volksbewegung aufraffen zur Herbeiführung des Friedens und Schaffung eines Europäischen Staatenbundes unter Deutschlands Führung! Ich beschwöre Sie, hochverehrter Meister, versäumen Sie die große Stunde nicht, um mit einem Schlage sich selbst und den || Monistenbund zu unvergänglichem Ruhme für die ganze Welt zu führen. Stellen Sie sich mit Ostwald zusammen als deutsches Dioskurenpaar an die Spitze einer großen Friedensbewegung! Ihre Worte, die leider bisher in falscher Richtung ertönten und nur dem Englandhaß dienten, werden in anderer Richtung erschallend nicht überhört werden, sondern ein mächtiges Echo wecken! Wie herrlich wäre es, wenn Sie dadurch der Erlöser Europas in wahrstem Sinne des Wortes würden! ||
Lassen Sie mich nicht vergeblich rufen, großer Meister! Tausende würden Ihnen entgegenjubeln, wenn Sie jetzt unsern hochverdienten Kanzler stützend (nicht stürzend) dem deutschen Volke aus der furchtbaren Not, dem „deutschen Monistenbund“ aus völliger Versumpfung helfen würden! In diesem Sinne und der Hoffnung auf Ihre noch ungebrochene Tatkraft begrüße ich Sie, hochverehrter Meister, nach wie vor in unwandelbarer Treue und Verehrung als Ihr dankbarer Jünger
CH. Thiele
a eingef.: Sie