Kraigher-Porges, Josepha

Josepha Kraigher-Porges an Ernst Haeckel, Fürnitz, 31. Mai 1900

Fürnitz, den 31. Mai 1900

Hochgeschätzter Herr Professor!

Verzeihen Sie mir, ich bitte sehr darum, wenn ich unbescheiden scheine. Mir deucht es freilich eine schlichte, drängende Notwendigkeit, aber mein Herz wünscht es sich so heiß, daß mir möglicherweise das richtige Urteil darüber fehlt.

Sie sehen möchte ich unendlich gerne, teurer Herr Professor! In Ihre lebendigen Augen möchte ich sehen, in die Augen die so viel erschaut, dieses Viele so herrlich erschauten. Mir istʼs, als erhielte ich dabei, für das ganze Leben, in das Gemüt einen Hauch aus goldiger Sonnenhöhe.

Ich bin wol nur eine einfache Frau, die alleweil das simple Landkind blieb, als das sie geboren wurde, Sie Hoher gewähren || mir aber vielleicht doch meines lohnendsten Wunsches Erfüllung.

Vor 4 Jahren bekam ich durch Zufall Ihre Anthropogenie in die Hände. Sie lag am Verkaufstische meines Buchhändlers. Ich blätterte darin, kaufte sie dann und las, las mehr vielleicht noch mit der tier- und naturfrohen Seele, als mit dem Verstande. Das war für mein ganzes Denk- und Gefühlsleben entscheidend. Wirkte befreiend, erlösend. Mein Tappen im Glaubens- und Lebensdunkel, das Unbefriedigte in allen höheren Fragen, die uns moderne Menschen ja doch anfliegen, ohne daß man sich klar ist woher, hatte damit ein großes, schönes Ende gefunden. Hatte ich früher, als lebensstarkes Weib, die Tiere nur gerne, jetzt begann ich sie mit einer gewissen Zärtlichkeit zu lieben, innig und treu. Die ganze Natur schaute || ich nun anders an und in den Dingen, die andere Menschen am meisten quälen, fühlte ich eine ruhige Freudigkeit, die alle Angst und alles Entsetzen ausschließt. Das danke ich Ihnen, Sie großer, fürstlicher, lebensfroher Mann! Da ist es wol ganz natürlich, daß mein denken und fühlen ganz unwillkürlich oft bei Ihnen weilt.

Wie habe ich gezittert um Ihr teures Leben, da die Nachricht durch die Presse lief, Sie seien in Rom schwer erkrankt. All die quälenden Leiden, all das Weh, das in dunkler Nacht sich fieberisch steigert, wenn man einen geliebten Menschen verlieren soll, ich litt es damals. Ach, daß Sie nur wieder gesund sind, Sie teures Eigen aller, die von Ihnen lernten, deren Leben Sie bereicherten!

Nun zu meiner Bitte!

Ich fahre gegen den 20 Juni über Berlin nach Paris. Da möchte ich so gerne nach Jena um Sie nur auf Minuten zu sehen, Ihre Stimme zu hören. Darf ich? Werden Sie überhaupt daheim sein im Juni? Ist die Bitte unbescheiden, dann vergeben Sie mir. Sie wissen ja, daß alles zum Lichte drängt, teurer Herr.

Ich bin schon grauhaarig, mache meine erste Reise und wol auch ‒ meine letzte. Unter den Schätzen die ich dann in mein stilles Heim bringe, möchte ich die Erinnerung an Ihre ideal-lebendige Persönlichkeit als höchstes Gut haben.

Ich bitte Sie sehr darum, mir durch einen Untergebenen nur eine Zeile schreiben zu lassen, ob ich kommen darf.

Und zürnen Sie mir nicht, bitte, ich will ja nicht unbescheiden sein!

Verehrungsvoll

Fina Zacharias

Fürnitz bei Villach, Kärnten

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
31.05.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 11855
ID
11855