Kraigher-Porges Josepha

Josepha Kraigher-Porges an Ernst Haeckel, Paris, 12. Juli 1900

Paris, den 12.7.1900

Lieber und verehrter Herr Professor!

Mich drängtʼs ganz mächtig Ihnen für alle mir erwiesene Güte innig zu danken. Der Tag bei Ihnen war für mich ein heiliger Tag, reicher Segen lag darauf. Im Geiste noch nehme ich Ihre beiden lieben Hände in die meinen und drücke ehrfürchtig die Lippen darauf. Ich danke, danke Ihnen Sie Hoher, Herrlicher, Sie Einziger!

Daß Ihr Gemüt so kinderrein ist, daß Sie in Ihrer Größe so einfach und herzlich sind, || entzückt und beglückt mich gar köstlich. Nicht Verherrlichung noch Schmähung konnten Ihnen etwas anhaben.

In mir war all die Zeit, die ich bei Ihnen war Musik. Ihr geliebter Name perlte auf Schwingungen durch mich. Ich dachte nur Sie, fühlte nur Sie, war unfähig anderes in mich aufzunehmen. Wie sehr ich Sie liebe! Wie glücklich ich bin, daß Sie so viel, viel jünger sind, als Ihre Jahre erwarten ließen, daß ich ohne Sorge, ja mit tiefer Freude Sie wieder reisen wissen kann.

Ich bin ja so gut Ihre Schülerin, || als irgend einer Ihrer Studenten, Sie mein angebeteter Lehrer! Mit voller Denk- und Liebesmacht machte ich mir Ihre Lehre zu eigen, sog sie tief ins Herz, ins Blut, durchdrang mein ganzes Sein damit und glaube mit religiöser Innigkeit an Sie, an die Wahrheit und Heiligkeit Ihrer Lehre.

Lieber, teurer Herr Professor, ich sende Ihnen mit dem zugleich eine Diskussion worin ich von dem lieben Amphioxus auch sprach. Was ich darin durchstrich, hat mir damals der Redakteur willkürlich hineingeflickt, sind also nicht meine Gedanken. || Ich bin heute durchaus nicht zufrieden mit der Diskussion. Ich schrieb sie damals im Zorn und flüchtig. Sie hätte glatter und weniger heftig sein können, hätte ich das Vorübergehen des Zornes abgewartet ‒ und manches darin wäre besser...

Aber wegen des lieben Amphioxus und meiner geliebten Anthropogenie schicke ich Ihnen heute, da ich Sie zu kennen, das tiefe Glück habe, diese Diskussion doch.

Und nun Leben Sie wol, Lieber, reisen Sie glücklich und kehren Sie uns gesund wieder. Ich begleite Sie mit all meiner Liebe und Ehrfurcht. Heil! Heil!

Fina Zacharias

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
12.07.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 11854
ID
11854