Gabriel Abt an Ernst Haeckel, Kálnó, 2. September 1914
2. Sept. 1914. Kálnó. (Ungarn, Neograder Komitat.)
Hochgeborener Herr Professor!
Ich bin einer Ihrer kleinsten, aber wohl eifrigsten Verehrer; dennoch, resp. eben darum muß ich meine Überraschung darüber ausdrücken, was Sie getan haben sollen! Die ungarischen Zeitungen haben die Nachricht mitgeteilt, das Sie mit einigen Kollegen alle ihre wissenschaftlichen Auszeichnungen ablegen wollen, die von England hergerührt haben! Wenn es überhaupt wahr ist, so – behaupte ich – so haben Sie einen schmerzhaften Fehler begangen. Man weiß es wohl, daß das, was die Politik Englands getan hat, eine höchst niederträchtige Tat ist, aber wann hat uns das wissenschaftliche England beleidigt, dessen Vertreter sich jetzt angeblich ganz korrekt betragen. Wenn Sie, hochgeehrter Professor, englische politische Auszeichnungen haben, so – wenn Sie deutsch sind – werfen Sie diese zurück, aber wenn Sie das wissen-||schaftliche England, das uns einen Darwin, Thomson und auch andere, die nicht minder groß sind, gegeben hat – wenn Sie und ihre Kollegen ausgezeichnet hat, so tragen Sie diese Auszeichnungen mit ruhigem Gewissen und selbstbewußt auch in diesen Zeiten! Vergessen belgische Schriftsteller und französische Philosophen sich und die Objektivität, das ist noch leidlich, hilft aber ein deutscher Naturforscher ersten Ranges mit so einem Ausfall die deutsche Wissenschaft inbetreff der persönlichen Unbefangenheit und Objektivität ihrer Vertreter in einen übeln Ruf bringen, das ist schwer verzeihlich und irreparabel! Wie ein Beispiel ist es uns, jungen Studierenden der Naturwissenschaften, wenn der alte Meister die Ruhigkeit in seinen Urteilen verliert! Denken Sie, hochgeehrter Professor, an die Tage des Friedens, an die Zeit, als diese fieberhafte Stimmung nachlassen wird! Ich bitte Sie, Herr Professor, auf ihre || wissenschaftliche Ehrlichkeit, auf ihre deutsche Gesinnung, überraschen Sie uns nicht mehr so!
Ihr kleinster Verehrer
Gabriel Abt
Hörer der Medizin.