Abraham, Karl

Karl Abraham an Ernst Haeckel, Bad Wildungen, 20. November 1908

Bad Wildungen 20. November 1908

Hochverehrter Herr Professor!

Durch die Dedikation Ihres „Menschenproblems“ haben Sie mir eine sehr große Freude bereitet, viel größer jedenfalls, als Sie ahnen konnten. Seit langen Jahren gehöre ich nämlich schon zu Ihren Verehrern und eifrigen Anhängern Ihres Monismus u. seiner Bestrebungen. –

Einer alten, nachweisbar seit 1600 ständig der grünen Farbe treu gebliebenen Familie entstammend, bin ich in der herrlichen Natur unseres westfälisch sauerländischen Gebirges aufgewachsen. Ganz erklärlich ist es daher, daß die Natur schon von frühester Jugend an mein Ein u. Alles war und heute bedauere ich vor Allem eins, daß ich nämlich nicht Naturwissenschaft studirt habe. Doch will ich mich mit der Hoffnung trösten, daß mein Junge mal die Versäumnisse seines Vaters nachholen kann, er scheint ja wirklich in der Beziehung etwas erblich belastet zu sein. –

Wenn ich Ihnen, Hochverehrtester Herr Professor, erst heute meinen herzlich Dank für das Buch ausspreche, so bitte dringend, mir das nicht als Unhöflichkeit oder gar Undankbarkeit auslegen zu wollen. Sogleich nach Empfang des Buches ging ich in Ihre || Wohnung, Sie waren aber leider schon abgereist und so konnte ich mich nicht persönlich bedanken. Weil ich Ihnen nun versprochen hatte, über die körperliche Beschaffenheit des schon damals erwarteten Sauerschen Sprößlings sofort Nachricht zu geben, wollte ich beide Zwecke gern verbinden. Mein guter Vetter scheint nun aber wirklich ein schlechter Rechenmeister zu sein, denn seine Erwartung hat sich erst am Sonntag, also 8 Wochen beinahe später, erfüllt. Gestern war ich, um Ihnen Nachricht geben zu können, selbst in Bergheim und beeile mich, Ihnen zu sagen, daß das kleine Mädel zur unbeschreiblichen Freude seiner Eltern und aller Verwandten u. Bekannten in jeder Weise körperlich normal ist. Das Kind ist sehr gut entwickelt und hat en 8 ₰ gewogen. Während beide Eltern hellblond sind, ist das kleine Mädelchen dunkel und hat auch dunkele Hautfarbe, das mag sich noch ändern.

Mein Vetter hat Herrn Dr. Krüger gleich benachrichtigt, derselbe ist leider verreist, bei seiner Rückkehr will ich a gleich zu Krüger gehen u. mit ihm reden; Herr Dr. Krüger wollte das Kind selbst untersuchen und Ihnen sachverständiges Urteil einsenden. Im Oktober d. J. besuchte ich meinen alten 74jährigen Onkel, den Bruder meines Vaters und Sauer’s Mutter. Ich habe meinen Onkel, der noch sehr rüstig u. geistig noch sehr frisch ist, nochmal gefragt, ob er sich auf ein in unserer Familie vorgekommenes, angeborenes körperliches Gebrechen besinnen könnte, er wußte nichts, meine Tante, ebenfalls 80jährig, wußte auch nichts, ebenso meine Mutter, die auch schon im 74 Lebensjahre steht u. sich aller Geschehnisse ihres langen Lebens scharf zu erinnern weiß, hat nie davon gehört, daß mal in || der Familie meines Vaters derartiges vorgekommen ist. Die Bemühungen der Frau meines Vetters, bezüglich ihrer Familie, sind ebenfalls resultatlos gewesen. –

Wenn ich Ihnen, verehrter Herr Professor, in irgend einer Weise noch nützlich sein kann, so bitte ich herzlich, ganz über mich verfügen zu wollen, ich bin sehr gern bereit. –

Indem ich zum Schluß nochmals meinen herzlichsten Dank ausspreche, den ich hoffentlich im nächsten Jahre persönlich wiederholen darf, wünsche ich von ganzem Herzen, daß Sie noch recht lange Jahre in gleicher Frische und Rüstigkeit der Wissenschaft erhalten bleiben möchten.

Abraham.

a gestr.: selbst

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
20.11.1908
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 11492
ID
11492