Ihering, Hermann von

Hermann von Ihering an Ernst Haeckel, Sao Paulo, 20. Dezember 1914

MUSEU PAULISTA

DIRECTOR DR. H. VON IHERING

SÃO PAULO, 20 DE Dez. DE 1914

(BRAZIL)

Hochgeehrter Herr Geh. Rat!

Haben Sie vielen Dank für Ihre neue Zusendung für mich und meinen Sohn, der sich Ihnen ergebenst empfehlen laesst. Besonders hat mich natürlich der Artikel aus „Nord u. Süd“ interessiert. Ich bin in Bezug auf England ganz Ihrer Meinung. Lasen Sie Carls Peters „England und der Englaender“? Stillstand ist doch vielfach Rückschritt, in England geradezu Degeneration. Mir haben Herren vom British Museum, zuletzt der Direktor selbst, das englische Weissbuch zugesandt, wohl || in der Meinung, dass ein international bethaetigter Mensch wie ich mit 34 Jahren Auslandsleben, ein günstiges Objekt für die Lügen von Grey a la sein müsse. Wahr ist es, dass ich, so glühender deutscher Patriot ich auch bin, auf wissenschaftlichem Gebiet in meinen Gesinnungen nicht gegen England und Frankreich eingenommen bin. Wenn ich mich so oft über die herrliche Serie der Proceedings u. Transactions of the Zoological Society gefreut habe – so kann ich doch jetzt nicht geringer über die Riesensumme nützlicher Arbeit, die darin aufgespeichert ist, denken, nur weil Krämergeist und Neid von Handel und Regierung diesen gemeinen Krieg eingefaedelt haben. Sie denken anders – immer noch sind Sie, obwohl an Jahren uns voraus, feuriger und vielleicht consequenter als ich und || wohl manch andere. Es geht eben darin wie in Glaubenssachen – manches ruht mehr beim Temperament, und das hat man einmal so wie es ist zu tragen. Es liegt mir naturgemäß viel daran, mit Ihnen, mit dem ich mich im Grossen eins weiss in Lebensauffassung und jetzt wieder in deutscher Gesinnung, mich hierüber zu verstaendigen. Es waere ja möglich, dass meine Antwort – in englisch – an den Direktor des British Museums bekannt würde und desshalb sende ich anbei dieselbe Ihnen in Deutsch ein. Sie koennen von ihr, wenn es Ihnen gut scheint jeden Gebrauch machen den Sie belieben – mit oder ohne Commentar.

Bitten möchte ich Sie nun noch das allgemeine Kapitel im Catalog meiner Sammlung argentinischer Tertiaerconchylen zu lesen. Das Baendchen gieng eben an Sie ab und wenn ich || Recht haben sollte, so ist in Bezug auf Ursprung und Verbreitung des Lebens in Amerika in mehr wie einer Hinsicht fester Boden gewonnen. Die Fülle der Probleme die einen denkenden und arbeitenden Naturforscher Südamerika bietet, ist ja etwas Wunderbares. Zur Zeit fesseln mich die Beziehungen der Süsswasserfauna des Paraná- und São Franciscosystems. Letzterer Strom hat z. Theil andere Elemente im Ober-, Mittel- und Unterlauf und die ersteren stimmen mit jenen der Quellflüsse des Parana überein. Diesmal sandte ich dieserhalb Expeditionen zum Rio São Francisco – jetzt ist unser Garbe am Rio Uruguay.

In der Hoffnung, dass es Ihnen wohl geht bleibe ich mit besten Grüssen

Ihr ergebener

Hermann v. Ihering

[Beilage: Maschinenschriftliche Abschrift mit egh. Anrede, Unterschrift und Korrekturen eines Briefes Hermann von Iherings an das British Museum of Natural History London, Sao Paulo, 10. Dezember 1914]

S. Paulo 10 de Dezembro de 1914. –

An den Direktor des British Museum of Natural History,

London. –

Sehr geehrter Herr!

Sie haben mir das Weissbuch mit der offiziellen Korrespondenz der britischen Regierung zugesandt und ich würde unter normalen Umständen fuer die Aufmerksamkeit danken. Da aber die Herren Edward Grey und Asquith nicht zu den ehrbaren Personen gehoeren, deren Worten man Glauben beimessen kann, so haben diese Darlegungen fuer mich kein anderes Interesse als das zu zeigen, was sich eine so angesehene Koerperschaft wie das englische Parlament unter Umstaenden ohne Widerrede an Luegen bieten laesst.

Die englische Regierung hat diesen von Hass diktierten kommerziellen Krieg gegen Deutschland, um mit Theodore Roosevelt zu sprechen, seit langen Jahren vorbereitet. Die deutsche Regierung fand in den Antwerpener Archiven die Abmachungen Englands und Belgiens aus dem Jahre 1906, worin die Verwendung englischer Truppen in Belgien bis ins Detail festgesetzt wurde. – Wie kann es dann Herr Grey verantworten, dem Parlament in feierlicher Stunde vorzuluegen, England muesse den Krieg unternehmen, um Belgiens Neutralität zu schuetzen. Wie kann er versichern lassen, England verwende keine Dum-dum-Geschosse, wo solche doch massenhaft in Besitz englischer Verwundeter und Gefangener angetroffen wurden?! – Ehe noch eine Kriegserklaerung erfolgt war, befanden sich schon franzoesische Truppen in belgischen Festungen und englisches Kriegsmaterial in Maubeuge: und war durch Marinekonvention mit Russland die Landung von Truppen in Pommern vereinbart. Welch eine ungeheure Menge unwahrer oder tendenzioes entstellter Berichte gehen als offiziell von England ins Ausland, um deutsche Kriegsfuehrung und Erfolge zu verdaechtigen! Wozu also diese Komoedie von Rechtfertigung?! England hoffte durch diesen Krieg die deutsche Konkurrenz loszuwerden – das ist ein Standpunkt, der sich begreifen laesst. Wer aber nun den Mut || hat einen so ungeheuren Frevel zu begehen, der sollte auch den Mut finden, diese seine Absicht einzugestehen. Es wird ueberdies auch in England nicht an verstaendigen Politikern fehlen, welche diesen Krieg verdammen, der Englands wundervolle Weltstellung vernichten wird und der nicht noetig war. Unklug war es von England, sich der Sympathien Deutschlands zu entauessern.

Mehr als 30 Jahre bin ich brasilianischer Untertan, aber gleichwohl in Bezug auf Deutschland nicht anders gesonnen wie vor 44 Jahren, als ich mich 1870 dem deutschen Heere als Freiwilliger einreihte. Und doch muss ich bekennen: all mein Leben lang galt mir Verfassung, Regierung und Volkswirtschaft von England als grossartiges, beneidenswertes Vorbild. – – – Jetzt hat sich das geaendert und ich kenne kein Land der Erde, welches Deutschland an gediegenem Schaffen und ehrenhaftem Streben ueberlegen waere. – Glauben Sie nicht, dass nur die deutschen Verehrer Englands so schwer enttauescht wurden. Wenn Sie hier Stimmen der Belgier und Franzosen hoeren koennten wie ich, so wuessten Sie, dass nach dem Kriege die verbuendeten Opfer Englands ihm mehr Hass entgegenbringen werden als seine jetzigen Feinde.

Mein Lebenslauf bringt es mit sich, dass mir die internationalen Beziehungen wissenschaftlicher wie persoenlicher Art teuer sind und hier ist ein Punkt, in dem ich mit meinem verehrten Meister Ernst Haeckel und anderen eminenten deutschen Gelehrten nicht uebereinstimme. Der Krieg hat dabei fuer mich nichts zu tun mit den Sympathien, welche mit englischen und franzoesischen Fachgenossen und wissenschaftlichen Anstalten verbinden: Nie kann ich aufhoeren, der Wissenschaft Ihres Landes, in deren Ruhmeskranz Namen wie die von Darwin, Wallace, Lubbock, von Owen, Huxley, Lyell und anderen glaenzen, aufrichtig hoch-||zuschaetzen, nie die Bewunderung fuer das britische Museum zu verlieren, nie aufzuhoeren, mir es zur hohen Ehre anzurechnen, von so verdienstvollen wissenschaflichen Corporationen wie die Zoological Society und die British Ornithological Union zum Ehrenmitglied erwaehlt worden zu sein. Ist dieser furchtbare, dieser stupide und unnoetige Krieg einmal zu Ende, so ist, glaube ich, die Wissenschaft der erste Faden, welcher sich nicht nur rein aeusserlich wieder anknuepfen lassen wird. Die Produktion und Konkurrenz im Handel schafft Neid, Hass, Krieg: – diejenige in der Wissenschaft und besonders bei uns Naturforschern wirbt Achtung, Bewunderung, Sympathien. In diesem Sinne kann sagen, dassa mich der Krieg von dem geistigen England nicht trennteb, wohl aber von dem politisch-wirthschaftlichen.c

Darf ich zum Schluss eine Bitte aussprechen, so ist es die, meine werten Kollegen und die Leitung ihres grossen Institutes moechten bei der englischen Regierung dahin vorstellig werden, dass die gefangenen Deutschen in England human behandelt werden. In meiner Heimatstadt Giessen hat man mit einem Kostenaufwand von 1½ Millionen Mark eine neue provisorische Stadt mit Kanalisation, Wasserleitung, elektrische Beleuchtung u.s.w. für 10.000 gefangene Franzosen und Englaender errichtet. – In England liegen mir zum Teil persoenlich bekannte Deutschbrasilianer in Pferdestaellen, 6 in dem Raum für 1 Pferd, ohne alle elementare Fuersorge fuer Pflege und Reinhaltung des Koerpers. Das ist englischer Zivilisation nicht wuerdig.

In aller Hochachtung

Ihr

Hermann v. Ihering

a eingef.: sagen, dass; b korr. aus: trennen; c eingef.: ,wohl aber von dem politisch-wirthschaftlichen.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
20.12.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 11440
ID
11440