Becker, Franz Johann Jakob Emil

Franz Becker an Ernst Haeckel, Neuchâtel, 9. Dezember 1914

Clos de Serrières

Neuchâtel

ständige Adresse!

a

Neuchâtel, den 9 Dez. 1914

Sehr geehrter Herr Professor,

Ich danke Ihnen für die Zusendung der Jenaer Zeitung; ich hatte zwar die Rede von Bethmann-Hollweg bereits in unsern Schweizer Zeitungen gelesen. –

Ich schreibe Ihnen, weil ich mein Scherflein dazu beitragen möchte, um Deutschland zu beruhigen und aufzuklären. –

Ich kann nicht auf die ganze Rede eingehen, weil ich Ihnen zu viel antworten müßte, was sie nicht gern hören würden; nur über einen Satz möchte ich einige Worte sagen:

„Ausharren bis zum letzten Hauch“ heißt derselbe; Haben Sie schon darüber nachgedacht, was derselbe enthält?! = eine leise Anspielung auf die Möglichkeit einer Niederlage Deutschlands!

Und wie ganz anders klingt dieser Satz, als die ekelhafte Prahlerei von Simon Mayer und Sohn = in 14 Tagen (vom 1 Aug) in Paris sein zu wollen, und wie man die englischen und andern Neider züchtigen wolle! –

Dabei existirt dieser Neid in England und Frankreich gar nicht. – ||

Thatsache ist aber, daß der deutsche Neid von Simon Mayer und Söhne, von der Militar-Partei, von den Juden und Großkaufleuten, auf den Reichthum Frankreichs und Englands diesen verbrecherischen Weltkrieg, heraufbeschworen hat. –

Uebrigens hat Ihnen das bereits der Deutsche Maximilian Harden gesagt, oder Aehnliches. –

Ein anderer Satz heißt:

„Deutschland läßt sich nicht vernichten“

Das ist ein einfältiges Geschwätz, denn kein Mensch denkt daran. –

Selbstverstaendlich ist das nur ein Schlagwort der Regierung, um die guten Schaafe in Deutschland, in der nöthigen Aufregung und dem nöthigen Kriegsfieber zu erhalten. –

Was man vernichten will und mit Recht, ist der preußische Militarismus und gewisse sehr einflußreiche Personen, die, was Hochmuth, Eitelkeit, Größenwahn, Gotteslästerung und Neid auf den Reichthum anderer Völker, anbelangt, ganz gewiß verrückt sind & daher abgesetzt werden müssen. –

Unter Friedrich, dem Weisen, der leider so früh sterben mußte, wäre Deutschland || höchst wahrscheinlich, ein sehr reicher, ein sehr starker und ein beliebter Staat geworden. –

Jeder gebildete, vernünftige Mensch, der ganzen Welt, hatte noch vor 30 Jahren, eine mehr oder weniger große Zuneigung, zu dem gelehrten, fleißigen, gemüthlichen, sentimentalen, Bier drinkenden [!] Deutschland; aber seit dem

Aufgehen seines Unglücksstern vor ca. 25 Jahren

hat es sich durch seine ekelhafte Prahlerei, gemeine Großschnäuzigkeit, seine Arroganz, seine Rohheit und seine jetzt bewiesene Brutalität, den Haß und die Verachtung (und bei den besten Freunden, die Abneigung) der oben erwähnten, gebildeten vernünftigen Menschen, der ganzen Welt, zugezogen. –

Das gute, deutsche Volk ist durch diese wenigen Prahlereien, in denselben Größen-Wahnsinn versetzt worden, an dem die bewußten einflußreichen Personen leiden, und dadurch hypnotisirt worden. –

Je eher es aus diesen Halucinationen erwacht, desto besser. –

Dieß wünscht von Herzen, Ihr, im Monismus,

ganz ergebener

Franz Becker

W. S. G. U. ||

P. S.

Ich schreibe diesen Brief, als wahrer, echter Freund, des alten Deutschtums, der die Wahrheit kennt, und sie sagt. –

Wie viele sind plötzlich feurige Patrioten geworden, die früher auf Vieles, auf sehr Vieles geschimpft und getadelt haben! (in Deutschland.)

Das geschah aus Furcht, als Feind Deutschlands zu gelten, oder in der Hoffnung auf einen Orden!! Ein verächtlicher Patriotismus. –

Ohne den Militarismus und ohne die einflußreichen Hetzer, hätte Deutschland mit seiner Industrie, Technik und Wissenschaft, das reichste und angesehenste Land werden können. –

Mit seinen, im Stillen, angehäuften Milliarden hätte es können Kolonien kaufen, für deren Besitz man jetzt diese Schandthaten verübt. –

Epikur hat aber schon gesagt:

„Die Wahrheit leuchtet sich selbst“

und eben so gewiß, wird die ganze Welt erfahren, wer der

größte Verbrecher der Weltgeschichte ist, den die halbe Welt, jetzt schon kennt und verflucht.

Franz Becker

a gestr.: 5 Port Roulant

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
09.12.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 11040
ID
11040