Philipp August Rüdt an Ernst Haeckel, München, 26. Mai 1900
München den 26 Mai 1900
Hochverehrter Herr Professor!
Als Vorsitzender des Münchner Freidenker-Vereins wage ich es an Sie mit einer Bitte heranzutreten. Unter vielen Mühen und Kämpfen mit den Pfaffen und Jesuiten ist es mir gelungen, hier in München, der finstersten Ecke Deutschlands, ja beinahe Europas, den Freidenkerverein zu einem gewissen Ansehen zu bringen und ihm zahlreiche Anhänger aus allen Klassen der Bevölkerung zu gewinnen. Ich konnte es sogar wagen, am 17 Feb. Eine Giordano Brunofeier zu veranstalten, die a die größte und begeisterte in ganz Deutschland war. Zweitausend Menschen betheiligten sich daran. || Unsere Versammlungen sind ebenfalls sehr frequentirt. Ich, als Ihr, des großen Meisters, bescheidener Lehrling halte die Vorträge, in denen ich mit großer Begeisterung und gewandter Rede den Zuhörern die Resultate verkünde, die Ihr bewundernswerther Forschergeist in unsterblichen Werken zur Erlösung der Menschheit aus Jahrtausende langem Wahne niedergelegt hat. Nicht minder bestrebe ich mich in privatenb Gesellschaftskreisen, namentlich unter den Studenten für die Haeckel’sche Weltanschauung, den Monismus zu wirken und gelingt es mir, fortwährend begeisterte Anhänger zu werben.
Und nun kommt meine Bitte:
Schenken Sie, verehrter Herr Professor, uns ein Exemplar ihres neuesten staunenswerthen Werkes: „Die Welt-Räthsel“, und wir Münchner Freidenker werden Ihnen dafür unendlich dankbar sein. Es wird uns ein kostbares, herrliches Vermächtniß sein. Die Kritik Dodels hat mich so sehr für dieses Werk eingenommen, daß ich keinen sehnlicheren Wunsch habe, als es zu lesen und daraus, wie aus einem Borne neues Leben zu schöpfen.
In tiefster Verehrung und Bewunderung
Ihr
Dr. P. A. Rüdt
Vorsitzender des Freidenkdervereins
zu München u. Mitglied des Freidenker-
bundes (Heustraße 16. Rückgebäude I Aufgang/3.
a gestr.: sogar; b eingef. privaten